Peinliche Lektion

Taiwans Regierungspartei zieht Hitler-Werbespot zurück, nachdem erst Untertitel die Gemüter beruhigen sollten

TAIPEH taz ■ Seit einer Woche flimmert Adolf Hitler in Taiwans Wohnstuben. Alle Fernsehkanäle zeigen zwischen Werbung für Waschmittel und Eistee den Diktator, wie er mit starrem Blick und schnellen, kurzen Handbewegungen auf seine Zuhörer einredet. Der Auftritt dauert zehn Sekunden und ist Teil eines Werbespots für Taiwans regierende Demokratische Forschrittspartei (DPP). Die Bilder stammen aus einem Nazi-Propagandafilm. Anschlißend erscheinen John F. Kennedy, Fidel Castro und Taiwans Exprärident Lee Teng-hui. Alle vier werden während Reden gezeigt, danach erscheint eine Menschenmenge in Ekstase. Das Ganze wirkt wie ein Stummfilm mit doppelter Geschwindigkeit.

Mit dem Spot fordert die Partei junge Leute zu Kurzfilmen auf, in denen sie ihre Sicht auf Taiwans Politik und Gesellschaft ohne Scheuklappen darstellen. Pressesprecher Phoenix Cheng findet sein Produkt „gelungen, humorvoll, witzig und voll subtiler Anspielungen. Wir haben diese vier Personen ausgewählt, weil sie ohne Furcht und Rücksichtnahmen ihre Meinung gesagt haben.“

Seit Tagen hagelt es Proteste. Nicht nur Taiwans Jüdische Gemeinde bewertet den Film als „verletzend und respektlos“. Auch die Vertretungen Israels und Deutschlands sowie Menschenrechtsgruppen und jüdische Organisationen beschwerten sich. Als „Zeichen des guten Willens“ bot die DPP darauf an, die Bilder mit „Diktatur führt zur Katastrophe“ und „Demokratie braucht öffentliche Beteiligung“ zu untertiteln. Der jüdischen Gemeinde reicht das nicht. Am Dienstag zog Parteichef Frank Hsieh schließlich die Notbremse. Aus Angst, der Spot könne zur internationalen Affäre werden und seinem Parteifreund Präsident Chen Shui-bian schaden, ordnete er an, den Film abzusetzen. Wegen bestehender Verträge mit den Sendern soll er aber noch bis Freitag gezeigt werden.

Es ist nicht das erste Mal, dass in Taiwan unsensibel mit europäischer Geschichte umgegangen wird. Vor zwei Jahren machte eine Firma mit Hitlerporträts in U-Bahn-Stationen und Bussen Werbung für Heizöfen. Ein Nobelrestaurant dekorierte mit KZ-Bildern. Und auf Taipehs Nachtmärkten bieten Händler bei lauter Marschmusik Hakenkreuzflaggen und Anstecknadeln mit Nazisymbolen an.

„Viele Menschen sind schlicht ahnungslos und naiv“, erklärt Professor Hu Kung-Tze von Taipehs Fu-Ren-Universität. „Für sie ist Hitler ein starker, faszinierender Herrscher, der sich durchsetzen und Menschen in seinen Bann ziehen konnte. Von den Judenpogromen und Kriegsverbrechen wissen sie nur sehr wenig.“ Für das mangelnde Geschichtsbewusstsein macht er Defizite im Bildungssystem verantwortlich: „An den Schulen und Universitäten steht Wissensvermittlung im Vordergrund. Es gelingt aber nicht, unsere Jugendlichen zu kritischen, geschichtsbewussten und politisch denkenden Persönlichkeiten zu erziehen.“ Andererseits wundern sich Ostasiaten, wie unreflektiert in Europa mit Bildern umstrittener asiatischer Politiker wie Mao Tse-tung umgegangen wird. CHRISTIAN BAHLMANN