Ein Beschluss entlang der politischen Linien

Mit fünf zu drei Stimmen lehnt das Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die endgültige Entscheidung dürfte ähnlich ausfallen

KARLSRUHE taz ■ Ein Mann verkörperte gestern die Zerrissenheit des Bundesverfassungsgerichts: Hans-Jürgen Papier, der Vorsitzende des Ersten Senats. Zuerst musste er den Beschluss der Senatsmehrheit verlesen, dass die so genannte Homoehe am 1. August planmäßig in Kraft treten kann. Dann durfte er das von ihm mitgetragene Minderheitsvotum vortragen. Darin begründeten immerhin drei von acht Richtern, warum das Gesetz über die eingetragenen Lebenspartnerschaften vorerst hätte gestoppt werden müssen.

Der Versuch Bayerns und Sachsens, die Einführung der Homoehe bis zur endgültigen Karlsruher Entscheidung aufzuschieben, war mit fünf zu drei Richterstimmen gescheitert. Die Verlierer trösteten sich, dass das knappe Stimmenergebnis das Gewicht ihrer Bedenken unterstreiche – und dass noch nichts endgültig entschieden sei.

Tatsächlich hatte der Senat bei seiner gestrigen Entscheidung nur eine Folgenabwägung durchzuführen: Wiegt es schwerer, wenn ein Gesetz in Kraft tritt, das sich später als verfassungswidrig entpuppt – oder sind die Nachteile größer, wenn jetzt ein Gesetz blockiert wird, das am Ende doch als verfassungskonform durchgeht? Die Mehrheit sah die größeren Nachteile in einer Blockade der Homoehe. Sie lehnte den Antrag Bayerns und Sachsens ab.

So betonte die Fünfermehrheit, dass die Einführung der eingetragenen Partnerschaften keine „irreversiblen“ Nachteile für das Institut der Ehe mit sich bringe. Schließlich sei die gewöhnliche Heteroehe durch die Reform in keiner Weise verändert worden.

Auch das Argument der klagenden Länder, das Gesetz sei „nicht vollziehbar“, wies Karlsruhe zurück. Bayern und Sachsen hatten bemängelt, dass das Bundesgesetz offen lasse, wo und wie die Homopartnerschaft zu registrieren sei. „Die Länder können hierzu Ausführungsgesetze erlassen und haben dies teilweise auch getan“, heißt es im gestrigen Urteil. Dass die jetzt entstehenden Landesregeln Unterschiede aufwiesen – mal sind die Standesämter zuständig, mal die Kommunalbehörden –, sei lediglich Ausdruck des bundesdeutschen Föderalismus. Damit gibt es für die Kläger keine Ausrede mehr, das Bundesgesetz nicht umzusetzen.

Umstritten war in Karlsruhe vor allem die Frage der individuellen Nachteile bei einem einstweiligen Stopp des Gesetzes. Die klagenden Länder – und mit ihnen die drei Richter der Senatsminderheit – betonten, dass schwule und lesbische Paare viele Härten auf vertraglichem Wege vermeiden könnten. So könnten sich die Paare gegenseitig als Erben einsetzen sowie Besuchs- und Informationsrechte im Falle eines Klinikaufenthalts einräumen.

Die Senatsmehrheit betonte dagegen eher die Bereiche, die „einer privatrechtlichen Gestaltung verschlossen sind“. So könne ein Homopaar eben nicht per Vertrag die Abschiebung eines Partners vermeiden. Und auch ein Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht könne nicht durch einen Vertrag zwischen den Partnern begründet werden.

Eine gewisse „Rechtsunsicherheit“ bis zur Entscheidung in der Hauptsache müsse deshalb in Kauf genommen werden, meinte die Richtermehrheit im Ersten Senat. Die Gefahr, Vorgänge später „rückabwickeln“ zu müssen, bestehe schließlich immer, wenn gegen ein neues Gesetz Verfassungsklage erhoben wird. Es könne aber nicht sein, dass jeder juristische Angriff gegen ein neues Gesetz sofort dessen Aussetzung zur Folge habe.

Nach einer späteren Rückabwicklung sieht es derzeit allerdings nicht aus. Schon dass sich die acht Richter entlang ideologischer Linien formierten, deutet auf eine Vorentscheidung in der Sache hin: Die fünf von SPD, Grünen und FDP vorgeschlagenen Richter stimmten für das sofortige Inkrafttreten des Gesetzes, die von der CDU ins Amt gebrachten Richter um Hans-Jürgen Papier befürworteten dagegen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Die Richtermehrheit legte die Hürde für eine einstweilige Anordnung sogar besonders hoch, weil „der Gesetzgeber Personen erstmals Rechte zuerkennt“, die „zum Abbau lang andauernder Diskriminierungen führen sollen“. Eine gewisse Sympathie für das rot-grüne Reformvorhaben ist in diesen Worten deutlich zu erkennen. Und in rund 80 Prozent der Fälle, rechnete der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner gestern vor, decke sich die Hauptentscheidung mit der Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutz.

CHRISTIAN RATH