Streit um Jungfräulichkeitstests in Türkei

Der Vorstoß des Gesundheitsministers, Absolventinnen von Krankenpflegeschulen zwangsweise medizinisch untersuchen zu lassen, löst eine heftige Debatte aus. Krankenschwesternverband will gegen die Anordnung klagen

ISTANBUL taz ■ Kommen die Jungfräulichkeitstests zurück? Nachdem Hürriyet, das größte Massenblatt der Türkei, vor wenigen Tagen aufgedeckt hatte, dass Gesundheitsminister Osman Durmus, Mitglied der ultrarechten nationalistischen MHP, plant, an Oberschulen für Krankenpflege die berüchtigten Jungfräulichkeitstests wieder einzuführen, ist eine heftige Debatte entbrannt. Während Durmus und sein Staatssekretär Bülent Ulutas die Maßnahme zunächst verteidigten, will der Minister es jetzt nicht mehr gewesen sein. Die Anordnung stamme nicht von ihm, sondern aus dem Erziehungsministerium, ließ Durmus erklären, nachdem sein Parteichef Devlet Bahceli ihn zur Zurückhaltung aufgefordert hatte.

Stein des Anstoßes ist eine neue Disziplinarordnung in Berufsschulen für Krankenpflege. In dem Regelwerk ist vorgesehen, dass Schülern, denen sexuelle Kontakte oder gar Verbindungen zur Prostitution nachgewiesen werden, relegiert werden und auch an keiner anderen öffentlichen Schule mehr aufgenommen werden dürfen. Um angebliche sexuelle Verfehlungen nachzuweisen, soll mit dem Einverständnis der Eltern und einer richterlichen Anordnung eine zwangsweise Jungfräulichkeitsuntersuchung möglich sein.

Nach der Veröffentlichung protestierten Frauengruppen, aber auch der Krankenpflegerverband gegen diesen Versuch, eine Praxis, die vor zwei Jahren gesetzlich verboten wurde, durch die Hintertür wieder einzuführen. „Ein solches Verfahren“, sagt Halime Guner von der Frauengruppe „Ucan Supurge“, „öffnet Denunziationen Tür und Tor und wird zur Entwürdigung von Schülerinnen benutzt, die die Schulleitung nicht mag.“

Bis vor zwei Jahren kam es öfter vor, dass Schul- oder Heimleiter junge Frauen zu medizinischen Tests zwangen. Erst als fünf Mächen aus einem Waisenheim kollektiv versuchten, sich nach der Androhung eines Tests, das Leben zu nehmen, wurde die Regelung verboten.

In einer öffentlichen Diskussion mit der Vorsitzenden der Krankenpflegervereinigung, Buyan Dogan, berief sich Gesundheitsminister Durmus jetzt auf UN-Deklarationen, in denen der Staat sich verpflichtet, Kinder vor Pornographie und Prostitution zu schützen. Sein Staatssekretär Ulutas sagte: „Zur Not muss man eine Person opfern, um zehn andere zu schützen.“

Osman Durmus droht nun, sich mit seiner Anordnung ins politische Aus zu katapultieren. Obwohl er in seinem Vorhaben von einem Teil der männlichen türkischen Gesellschaft, vor allem auf dem Land, unterstützt wird, hat die gesamte liberale Presse sich auf ihn eingeschossen. Da in dieser Woche bereits ein anderer MHP-Minister im Streit um die Wirtschaftsreformen zurücktreten musste, kommt MHP-Chef Bahceli der Vorstoß seines Gesundheitsministers denkbar ungelegen. Wenn er etwas zu sagen habe, so Bahceli zu Durmus, solle er das gefälligst hinter geschlossenen Türen tun.

Auch in der Sache wird Durmus wohl keinen Erfolg haben. „Wir werden diese Anordnung mit allen Mitteln bekämpfen“, bekräftigte Buyan Dogan vom Krankenschwesternverband und kündigte eine Klage an. Nach geltender Rechtslage dürfte die Anordnung keinen Bestand haben, jedoch sind auch die Richter oft ein Spiegel ihrer Gesellschaft. Erst kürzlich wurden zwei Brüder, die ihre Schwester ermordet hatten, weil diese durch Sex die Ehre der Familie verletzt habe, zu skandalös milden Strafen verurteilt. JÜRGEN GOTTSCHLICH