Schweigewinter inklusive

Fast-Folklore, unbotmäßige Akkordeons: Facetten des nordLAUT- Festivals auf Kampnagel  ■ Von Jan Möller

Eine exquisite finnische Filmreihe im Metropolis, der Länderschwerpunkt beim Schleswig Holstein Musik Festival: Der finnische Tango macht plötzliche und unerwartete Auslandskarriere.Was der Mojito- und Zigarrenbourgeoisie ihr Kuba, ist den Wodka-Intellektuellen die Handynation im Norden: Dort, an der Schnittstelle von Ost- und Westeuropa, eingezwängt in einen hermetischen Sprachraum, müssen die Menschen ja irgendwas Eigentümliches produzieren.

Exotismus hin, Klischeebildung her, gemessen an der Einwohnerzahl ist dies tatsächlich nicht selten der Fall. Das heutige Auftaktkonzert des auf Kampnagel stattfindenden nordLAUT-Festivals beim Schleswig Holstein Musik Festival passt jedenfalls gleich ganz gut ins Bild. Die sieben renommierten Musikanten vom Toimii!-Ensemble spielen, was ihnen gerade so einfällt, und der auf einer Leinwand zugeschaltete Stardirigent Esa-Pekka Salonen soll das Ganze irgendwie strukturieren. Konkreteres wissen wir nicht. Und das ist ja nicht die schlechteste Perspektive.

Der Ablauf des Dienstagabends ist vorhersehbarer. Nicht, dass M. A. Numminen, ein 61-Jähriger mit unglaublicher Leierstimme, die Abwechslung scheute. Ob Tango-Oratorien, Kinderprogramme in Hasenverkleidung oder Gesangseinlagen für Trashrock-Gruppen – Numminen, der in den Sechzigern einem kleinen Zirkel von „Kulturradikalen“ angehörte, ist nichts fremd. Diesmal aber widmet er sich mit seinem Partner Pedro Hietanen dem neorustikalen Jazz, oder besser: Jatz. Vieles wird auf Deutsch vorgetragen, denn, so der Künstler, „Deutsch sprechen macht gut“. Der inhaltliche Schwerpunkt ist wohl am besten mit einem seiner Leitsätze beschrieben: „Das Wichtigste hier auf der Welt ist für den Menschen Dägä“. Kann also heiter werden.

Nächste Attraktion: Värttinä, die seit den späten Achtzigern damit befasst sind, traditionelle karelische Musik aufzumöbeln. Ihre beherzten Blockhüttensounds von einst sind mittlerweile zwar einer soliden „Ethnopop“-Instrumentierung gewichen, und die Zahl der Sängerinnen ist um elf geschrumpft. Die verbliebenen vier Frauen aber stemmen ihre Hände immer noch energisch in die Hüften, und ihr Gesang zeugt von der Schönheit einer vertrackten Sprache wie auch einer ebenso vertrackten Rhythmik.

Abend vier gehört dem Hipster. Jimi Tenor ist der Typ mit der Brille. Der Typ mit „Take Me Baby“. Der Typ, der alles kann. Wenn die einen noch nach seinem Loveparade-Stampfer verlangen, gibt er längst den käsigen Ersatz-Curtis-Mayfield und schüttelt eine angenehm nach Plattenbausiedlung riechende Soulvariante aus dem Ärmel. Dann will man dieses coole Zeug lässig in der Lounge goutieren, und schon schiebt Tenor zusammen mit dem Sinfonieorchester von Lódz einen schwer verdaulichen Brocken Unterhaltungsmusik hinterher. Kaum jemand hat sich zwar getraut, diese (gelungene) Platte öfter als zweimal zu hören, aber es reicht ja, sie im Schrank stehen zu haben, von wegen Distinktionsgewinn. Tenors Konzert mit Band und Mitgliedern des festivaleigenen Klassikorchesters ist bereits ausverkauft.

Der Höhepunkt kommt, wie es sich gehört, zuletzt: Es ist wohl der große Herrenabend am Freitag, der die Veranstalter dazu veranlasst hat, das „LAUT“ hinter dem „nord“ in Blockschrift zu setzen. Zunächst wäre da ein Akkordeonist namens Kimmo Pohjonen. Es heißt, er treibe sonderbare Dinge mit seinem Instrument. Unbotmäßige Kracherzeugung, massiver Einsatz von Effektgeräten, kurzum: eine Marter für dogmatische Folkloristen. Dann Pan Sonic, die mit ihrem auf analogen Eigenbau-Synthesizern erzeugten Abstrakt-Techno gern gesehene Gäste in den Galerien der Welt sind. Kunstkacke? Nein, ein imposanter und sehr feinsinniger Brumm- und Summ-Wumms zum Bauklötze staunen.

Und schließlich noch der Mieskuoro Huutajat: ungefähr dreißig Hobbyschreihälse, die mit bitterernster Miene und hervorragender soldatischer Disziplin Kinderlieder, Volksweisen und Nationalhymnen brüllen. Manchmal wird auch geflüstert. Chorleiter Sirviö sorgt dafür, dass die Grenze zum bloßen Gag nie überschritten wird. Die Kraft für ihre auch visuell beeindruckenden internationalen Auftritte sammeln die Mitglieder übrigens im heimischen Oulu, einem der härtesten Schweige-Trainingslager der Welt. Einer Art Anti-Havanna also, rein kulturell betrachtet. Na los, buchen Sie schon mal Ihren Winterurlaub!

Toiimi!: 23.7., K33. Numminen: 24.7., K37. Värttinä: 25.7., K 38. Jimi Tenor: 26.7., K40. Fiinish Finish: 27.7., K 43. Alle Kampnagel, Beginn immer 21 Uhr