nebensachen aus stockholm: Schwedische Legitimationsprobleme
Missverständnisse der besonderen Art um die „leg“
„Will you see my leg?“ Nein, er ist kein Exhibitionist oder Fetischist, der blonde Hüne mit den drei Bierdosen und der Schachtel Zigaretten im Einkaufskorb, der in der Supermarktschlange auf Kreta oder Mallorca steht. Und bei der Verkäuferin an der Kasse ein erschrockenes: „No thanks!“ provoziert. Sie will sein Bein nicht sehen. Das er ihr allerdings gar nicht zeigen wollte.
Eine Mischung aus Sprachproblemen und schwedischen alkoholrelevanten Sitten hat da zu einem Missverständnis geführt. Der Tourist aus dem Norden wollte an der Kasse seine – nicht sein – „leg“ zeigen, nämlich seinen Ausweis, die Legitimation, die „leg“ eben – die im schwedischen Alltag gebräuchlichen Abkürzung. Zu Hause sitzt sie locker, die „leg“, da muss man sie griffbereit haben an der Kasse. Auf jeden Fall dann, wenn man die Volljährigkeit nachweisen muss, wenn es mehr als 2,2 Volumenprozent Alkohol in Dose oder Flasche sein sollen.
Die schwedische Legitimationskarte sieht etwa so aus wie der deutsche Personalausweis, ist allerdings technisch noch etwas perfekter und fälschungssicherer – selbst als ein Pass. Als das Land vor einigen Monaten Schengen-Mitglied wurde, sollte daher die Zeit vorbei sein, in der man den Pass mit sich schleppen musste, wenn es ins EU-Ausland ging. Doch die schwedische „leg“ reicht Brüssel nicht.
Die Probleme, welche die Rest-EU mit der schwedischen ID-Karte hat, sind allerdings nicht technischer Art. Sie ist ihr nicht ausreichend hoheitlich. Die „leg“ bekommen die SchwedInnen nämlich ganz unbürokratisch bei der Post. Da gibt man seine beiden Passbilder ab, weist anhand eines Dokuments die Identität nach, zahlt 250 Kronen (rund 60 Mark) und bekommt nach zwei Wochen seine jeweils fünf Jahre gültige „leg“. Obwohl das Plastikteil auf der Rückseite stolz den Aufdruck „This is a certified Swedish identity card“ trägt, ist Brüssel ist nicht zu überzeugen: Wenn die Post so was ausstellt, dann reicht das nicht! Auch wenn es keine Schengen-Regeln gibt, wie eine ID-Karte auszusehen hat und wer sie ausstellen kann. Auch wenn die EU Billig-Personalausweise anerkennt, die nicht annähernd so fälschungssicher sind wie die „leg“. Und auch, wenn es in Schweden nie Personalausweise gegeben hat.
Rund 1.000 provisorische Pässe stellt die Polizei am Stockholmer Flugplatz derzeit wöchentlich aus, damit Charterreisende in Südeuropa keine Legitimationsprobleme bekommen. Dieses Provisorium erkennt die EU als Personalausweisersatz an. Auch wenn das Pappteil so fälschungsfreundlich ist, dass man damit an keinem schwedischen Kiosk eine Bierdose kaufen kann: nein, heißt es dort freundlich, aber bestimmt, eine „richtige leg“ wolle man bitte sehen. Womit nicht das Bein gemeint ist. REINHARD WOLFF
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