Recht auf Überleben ohne Mann

■ Bremer Verwaltungsgericht urteilt: Allein stehende Kurdin darf wegen Gefahr für Leib und Leben nicht abgeschoben werden / Ein „Präzedenzfall“, sagt der Vorsitzende Richter

Seit 1994 lebt Fatima Nasir* in Deutschland, immer mit wechselndem Aufenthaltsstatus – vorübergehend auch illegal ohne behördlichen Aufenthaltssegen – immer ohne Gewissheit, wie lange sie und ihre drei kleinen Kinder noch bleiben dürfen (die taz berichtete). Jetzt hat das Bremer Verwaltungsgericht ein Urteil gefällt, das zumindest eines klarstellt. Eine Rücckehr in ihr Heimatdorf im tiefsten ländlichen Osten der Türkei bedeute für die 25-jährige allein stehende Kurdin „eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit“. Nach Paragraph 53, Absatz sechs des Ausländergesetzes ist das ein Abschiebungshindernis.

Die Ausländerbehörde muss nach diesem Urteil nun entscheiden, ob sie die Frau wieder nur vorübergehend duldet – in der Annahme, Nasir könne demnächst zurückkehren und ungefährdet in ihrer Heimat leben. Die Behörde könnte die Umstände auch so bewerten, dass nur ein längerfristiges Aufenthaltsrecht sinnvoll erscheint.

Das Besondere an diesem Fall: Fatima Nasir hatte sich in Deutschland von ihrem ebenfalls kurdischen Mann scheiden lassen, gegen dessen Willen. In den ländlichen Gebieten der Osttürkei gilt es als Ehrverletzung, wenn eine Frau ihren Mann verlässt. Dafür kann sie aus der Gemeinschaft verstoßen werden. Im schlimmsten Fall drohen die Entführung der Kinder oder sogar Blutrache. Das belegen zwei vom Gericht angeforderte Sachverständigengutachten.

In Fatima Nasirs Fall kommt erschwerend hinzu, dass sie nicht zum ersten Mal gegen den Willen eines Familienoberhauptes gehandelt hat. Mit 15 hatte sie einen anderen Mann geheiratet, als ihre Familie für sie vorgesehen hatte. Bereits damals hatte ihre Familie die Tochter verstoßen. Mit der Scheidung ließ die zum Teil in Deutschland lebende Familie über eine Schwester ausrichten, dass sie Fatima Nasirs Verhalten ablehnt. Die Anfang Juli vor Gericht erschienene Mutter habe ihr nicht einmal die Hand gereicht, so die 25-Jährige.

Eine lange Geschichte, die das Gericht irgendwann davon überzeugt hat, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Abschiebung nicht verantworten kann. Bevor das Gericht zu dieser Einsicht kam, wurde Fatima Nasir auf Herz und Nieren geprüft, ihre Scheidungsabsicht angezweifelt. Nachdem die Gutachten eindrücklich belegt hatten, dass die Frau in ihrem Heimatdorf keine Überlebenschance haben würde, suchte das Gericht Verwandte außerhalb der Dorfgemeinschaft. Erfolglos. „Gibt es denn dort niemand Liberaleres?“, fragte die beisitzende Richterin ungläubig.

Für Danja Schönhöfer von der Flüchtlingsinitiative zeigt diese Frage, wie wenig Verständnis für unterschiedliche Kulturen und Geschlechterrollen nicht nur bei Gerichten und Behörden vorhanden ist. Sie hat den Prozess begleitet und miterlebt, wie Fatima Nasir in Deutschland nach der Inhaftierung und Trennung ihres Mannes selbstständig geworden ist. Notgedrungen, denn es gab niemanden mehr, der ihr Vorschriften machte.

Fatima Nasirs Geschichte ist kein Einzelfall. Für Edith Laudowicz von terre des femmes ist die Abschiebung von allein stehenden Frauen ein Punkt, der grundsätzlich entschieden werden muss. „Zum Teil werden sie gar nicht gefragt, ob sie überhaupt einreisen wollen, und wenn dann der Ehemann seinen Asylstatus verliert oder die Familie verlässt, werden sie mit ihren Kindern einfach abgeschoben.“

In zumindest einem anderen, ähnlich erscheinenden Fall hat das Verwaltungsgericht ebenfalls ein Abschiebungshindernis festgestellt. Mit Fatima Nasir sei ein Präzedenzfall geschaffen, sagt der Vorsitzende Richter Ingo Kramer. Dennoch: „Die konkrete Gefahr für Leib und Leben ist eine recht hohe Hürde und das Urteil bedeutet nicht, dass allein stehende Frauen mit Kindern nicht abgeschoben werden dürfen.“ ei

*Der Name wurde von der Redaktion geändert