Das „Koizumi-Fieber“ ist kurzlebig

Der japanische Ministerpräsident steckt in der Klemme. Gewinnt er für seine konservative Partei die Oberhauswahlen, stärkt er zugleich seine Gegner. Aber er setzt im Wahlkampf auch auf nationalistische Töne. Und danach will das Volk Taten sehen

aus Tokio ANDRE KUNZ

Japan erlebt gerade ungewohnte Szenen. Da stehen 60-jährige Hausfrauen und braun gebrannte Girlies im T-Shirt mit der Aufschrift „I love Koizumi“ gemeinsam in den ersten Reihen vor einem Lautsprecherwagen der konservativen Liberal-Demokratischen Partei (LDP) und jubeln. Es geht zu wie in einem Popkonzert. Auf dem Wagenpodium steht Ministerpräsident Junichiro Koizumi und verkündet seine auf kurze schlagwortartige Sätze reduzierte Botschaft: „Reform und Wandel für Japan, das garantiere ich! Erst Schmerz, dann Gewinn, das sage ich voraus!“ Jubel, Klatschen und dann drängeln sich einige der ganz mutigen Frauen gar unjapanisch vor. Sie betteln um ein Autogramm.

Das Koizumi-Fieber grassiert in Japan. Mit einer derart hohen Popularitätsrate ist in den Nachkriegsjahren noch kein japanischer Ministerpräsident in einen Wahlkampf gestiegen. Und es sieht danach aus, als ob Koizumi am 29. Juli für sich und seine ewig regierende Partei LDP einen Wahlsieg holen kann. Zumindest ist sicher, dass eine Wahlschlappe, wie sie sich noch vor drei Monaten für die LDP deutlich abzeichnete, abgewendet werden kann. Kommt damit eine politische Erneuerung Japans in Gang, die Reformen in der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik mit sich ziehen wird?

Zweifel sind angebracht. Ein Wandel in der politischen Landschaft kann von den diesjährigen Oberhauswahlen nicht erwartet werden. Nur 121 der 247 Sitze der zweiten Parlamentskammer stehen zur Wahl. Doch wie in den viel wichtigeren Unterhauswahlen wählen die Kandidaten nach lokalenAnliegen. So lokal, dass einige LDP-Kandidaten mit einer Wahlplattform antreten, die dem Reformkurs Koizumis diametral widerspricht. Ironischerweise gehen städtische Politiker der oppositionellen Demokraten, Sozialdemokraten und teilweise auch die Kommunisten mit einer Plattform in den Wahlkampf, die sich nur in Nuancen vom Reformkonzept Koizumis unterscheidet.

Die parteipolitische Zugehörigkeit ist Nebensache, wichtiger ist, dass der Kandidat verspricht, die lokalen und wirtschaftlichen Interessen seiner Wahlklientel zu verteidigen. Für den reformfreundlichen Ministerpräsidenten ist ein LDP-Wahlsieg deshalb nicht unbedingt positiv. Es ist zwar ein Vertrauensvotum für seinen Kurs, aber zugleich werden auch die Kräfte innerhalb der Partei gestärkt, die gegen ihn arbeiten.

Bereits im Vorfeld der Wahlen sind die konservativen Kräfte dabei, Eckpfeiler des Koizumi-Programms zu untergraben. So wurde die parteiinterne Diskussion über die von Koizumi in Aussicht gestellte Privatisierung der Postbank und der Postversicherung, zwei riesige staatliche Finanzinstitutionen mit einem enormen politischen und wirtschaftlichen Gewicht, auf die Zeit nach den Wahlen verschoben. Diese traditionelle Pfründe der LDP, die der Partei Millionen Stimmen auf dem Land einbringt, wollte man nicht zum Wahlkampfthema werden lassen.

Koizumi ist dabei durchaus nicht unschuldig, denn schließlich kennt er die Regeln des japanischen Wahlkampfes und vor allem die, nach denen die LDP wirbt: erst gewinnen und dann den Wählern die Rechnung präsentieren. Diese traditionelle Taktik hat sich trotz Reformrhetorik nicht geändert. Im Gegenteil, Koizumi präsentiert sich als strammer Nationalist, der bedenkenlos den Yasukuni-Schrein für Kriegsopfer, wo auch Kriegsverbrecher bestattet sind, besuchen will. Damit punktet er bei älteren Wählern vom Lande, die zwar sein Reformprogramm ablehnen, dafür seine nationalistische Haltung bejubeln. Beunruhigend war auch die Art und Weise, wie die Regierung Koizumi Kritik asiatischer Nachbarn an geschichtsklitternden Schulbüchern abschmetterte und damit rechtskonservative Kräfte unterstützte.

Diese Ereignisse nur als wahltaktisches Kalkül eines pragmatischen Reformers abzutun, ist zu einfach. Zweifel an der wirtschaftspolitischen Standfestigkeit Koizumis sind eher angebracht und der nationalistische Kurs ist schlicht beunruhigend. Das Koizumi-Fieber könnte kurzlebig sein, denn spätestens nach den Wahlen verlangt die japanische Bevölkerung Taten. Ob Koizumi die mit einem gestärkten rechtskonservativen Flügel in der LDP noch liefern kann, muss bezweifelt werden.