FEILSCHEN ERLAUBT
: Wilde Ware mit Rabatt

Feilschen frei! Auf zur Jagd nach Zugaben! Ab heute sind im Einzelhandel Rabatte erlaubt, die drei Prozent übersteigen. Außerdem darf es nun „Extrawürste“ geben, Werbemittel. Im Idealfall verhandeln Kunden und Händler jetzt genüsslich und so lange über den Preis, bis sie sich geeinigt haben und die Kiste Bier vielleicht noch mit zwei Gratis-Geschirrspültüchern schmackhaft gemacht wird. Und wer nicht feilschen will, wird dennoch nicht um die Novitäten herumkommen: Ganz von alleine werden sich zu den Kaufwaren die Mitgebsel gesellen und zu Mitnehmseln werden, ihren Gebrauchswert beweisen oder erst unsere Wohnungen verstopfen und mit etwas Verzögerung die Flohmärkte bereichern. Folgt nun also der Kaufrausch? Oder gar der Rausch von mehr Verkauf – als Rettung vor der Konjunkturflaute?

Sicher nicht. Aber die Interessen der Verbraucher und Anbieter kommen sich näher. So kann es dem Einzelhandel nur recht sein, wenn er Preisnachlässe geben kann, um die Kunden aus den Warenhäusern und Supermarktketten zu locken. Plötzlich rückt Konkurrenz vom Massenkonsum ab: Das Individuum zählt, weil es zahlt, was es will. Denn schon jetzt ist klar, dass sich Kaufhäuser mit ihren Filialen auf diese Art des Basarhandels nicht einlassen werden. Dort bleibt das Kassenpersonal weiter, was es bislang war: Geldeintreiber für Familien wie Albrecht oder für anonyme Kleinaktionäre. Im Einzelhandel aber wird der Verkäufer zum Königsmacher, der den Kunden mit Angeboten hofiert. Das ist eine durchaus bühnenreife Vorstellung, bei der das Feilschen die Handlung fortschreibt.

Der Käufer gewinnt mit dem Recht auf Feilschen mehr zurück als die Freude am Schnäppchen. In den Ländern des Südens sind die lebhaften Diskussionen um Preise fester Bestandteil einer Kultur der Kommunikation und des Handelns, deren fließende Strukturen der französische Philosoph Michel de Certeau als Ursprung von Urbanität beschreibt. Er sieht darin auch die Zukunft der Megalopolen, die von ihren Bewohnern – ganz entgegen der herrschenden Ökonomie von Vernetzung und Globalisierung – im Kleinen transformiert werden. Mit dem Feilschen gewinnt der Konsument einen Teil seines selbst bestimmten Handelns zurück, jenseits der Abfertigung in den anonymen Shopping-Malls – der Käufer erobert ein Stück weit die Öffentlichkeit zurück. De Certeau behauptet sogar, dass sich das Alltägliche schon immer aus allen möglichen Arten des Wilderns zusammensetzt. Wird nun auch die Ware ohne verordnete Preise wieder wild? HARALD FRICKE