Blues mit weißem Arsch in der Hose

Bob Dylan stand vor seiner Tür, Ingrid Bergman stand auf seinem Notizblock: Früher war Woody Guthrie eine Ikone der Protestbewegung, heute muss der 1967 gestorbene Singer/Songwriter vor der Musealisierung geschützt werden. Das Eiszeit-Kino ehrt den Vorläufer des Sixties-Folk mit einer Filmreihe

von ANDREAS BUSCHE

60 Jahre Bob Dylan auf allen Kanälen, da kann man schon mal panisch werden. Der globale Taumel ist angesichts des prallen Songkatalogs, der sich so zirka seit der Invasion in der Schweinebucht angesammelt hat, prinzipiell schon verständlich, aber irgendwie auch unbefriedigend. Das Passstück fehlt.

Fast zeitgleich ist leider im kleinen Hamburger Nautilus Verlag die Neuauflage der Autobiografie „Dies Land ist mein Land“ (Original: „Bound for Glory“, 1943) des Mannes untergegangen, der Pop und Politik wirklich zum ersten Mal in Einklang gebracht hatte, und dem Dylan nicht nur das Handwerk, sondern auch eine ganze Menge Inspiration zu verdanken hat: Woody Guthrie.

Es war wohl irgendwann 1960, als sich Robert Allen Zimmermann, der sich später Bob Dylan nennen sollte, nach Howard Beach begab und dort voller Demut an die Tür des Hauses der Guthrie-Familie klopfte, um eine Audienz beim damals schon schwerkranken Woody zu erbitten. Dessen zehnjährige Tochter Nora fühlte sich durch den schmutzigen, jungen Mann vor der Tür empfindlich beim Fernsehen gestört und erklärte ihm kurzerhand, dass ihr Vater nicht zu Hause sei. Zimmermann bzw. Dylan ließ sich jedoch nicht abschütteln und klopfte erneut. Das Spiel ging noch einige Zeit weiter, bis Noras Bruder Arlo den devoten, aber hartnäckigen Besucher schließlich einließ.

Diese kleine Anekdote einer Wallfahrt erzählt viel von der unermesslichen Ehrfurcht vor Woody Guthrie, die bis heute ungebrochen ist. Trotzdem ist Guthrie vor allem ein amerikanischer Volksheld, der ewige Hobo und Staubschlucker geblieben, während Epigonen wie Bob Dylan oder Phil Ochs längst in den Stand von Pop-Ikonen erhoben worden sind. Das Bild von Woody Guthrie wird fälschlicherweise immer noch von dem vagabundierenden „Dust Bowl Loner“ aus der Zeit der Depression bestimmt, als das Nomadentum die wohl beste Möglichkeit war, in Würde zu überleben: Guthrie zog mit seiner Gitarre durch den Mittelwesten, sprach mit den Menschen und spielte auf Gewerkschaftsversammlungen. Er wurde eine Art Inkarnation von Tom Joad, der Romanfigur aus John Steinbecks „Früchte des Zorns“, dessen Geist ruhelos durch das Land strich, um den Hilfebedürftigen zur Seite zu stehen. Nach ihm nannte Guthrie auch seinen zweiten Sohn Joade.

Der ganz andere Guthrie wurde aber erst langsam ab 1983, nach dem Tod seiner zweiten Frau Marjorie, entdeckt. Über tausend unvertonte Textnotizen, darunter viele Kinder- und Liebeslieder, Skizzen, Zeichnungen und Bilder fanden sich in dem riesigen Nachlass, der jahrzehntelang in Marjories Keller gestapelt gelegen hatte. Seit 1996 ist dieses Gesamtwerk im Woody-Guthrie-Archiv der Öffentlichkeit zugänglich, ein riesiger Fundus an Dokumenten der amerikanischen Geschichte. Trotzdem ergibt sich daraus nur ein kleiner Eindruck der viel beschworenen Authentizität, die den verkannten Lyriker Guthrie zum legitimen Repräsentanten des „Amerika von unten“ gemacht hat.

Das Eiszeit-Kino zeigt ab heute ein kleines Filmprogramm, das dem Andenken Woody Guthries gewidmet ist. Neben Arthur Penns „Alice’s Restaurant“, dieser lakonischen Späthippie-Elegie mit Woodys Sohn Arlo sowie Pete Seeger und Lee Hays, zwei Weggefährten aus Woodys Zeit im „All-American Left-Wing-Folksong Revival Movement“ Anfang der 40er, und Hal Ashbys Oscar-gekröntem Biopic „Bound for Glory“ mit David Carradine in der Guthrie-Rolle, macht die Dokumentation „Man in the Sand“ von 1999 sozusagen den Hauptteil der Hommage aus.

Spätestens seit der Verleihung des Lifetime Achievement Award sieht Nora Guthrie nämlich die Gefahr einer Musealisierung ihres Vaters als Protestsänger. Dagegen dokumentiert „Man in the Sand“ die Arbeit des englischen Agitpropsängers Billy Bragg und der US-Folkband Wilco an der Erschließung des bisher unbekannten Textwerks Guthries, das zum Teil nur auf Servietten und Blöcken niedergeschrieben wurde. Darunter befindet sich zum Beispiel auch eine ganz putzige Liebeserklärung an Ingrid Bergman: „Ingrid Bergman, you’re so pretty/ you’d make any mountain quiver/ you’d make fire fly from the crater/ Ingrid Bergman.“

Ergo: Großes Songwriting ist zeitlos. Guthrie ist wohl tatsächlich so etwas wie der Mark Twain der geschwungenen Wandergitarre. Ein Blues-Gitarrist mit einem weißen Arsch in der Hose. Ein Countrysänger, der wie ein Kommunist klang. Und ein Politischer ohne College-Abschluss.

Hommage an Woody Guthrie, bis 1. August im Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 20, KreuzbergAm 31. 7. wird Nora Guthrie dort aus Woody Guthries wiederaufgelegter Biografie „Dies Land ist mein Land“ lesen