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Sam who?

Der australische Schauspieler Sam Neill ist ein Virtuose des Verschwindens und verkörpert das ewige Mittelmaß – obwohl er meistens heldenhafte Wissenschaftler spielt. Zurzeit in „The Dish“ und bald in „Jurassic Park III“

von BIRGIT GLOMBITZA

Die dünnen Haare, die Falten, die ständiger Skrupel auf seine Stirn wirft, der zaudernde Gang und eine eher kontrastarme Physiognomie – Sam Neill sieht aus wie das Mittelmaß, bei dem Kleidung von der Stange wie angegossen sitzt. Meist verkörpert er den guten Kern des Durchschnittlichen, das Urbild der Zuverlässigkeit und eine schon langweilige Loyalität, vor der die Faszination des Unberechenbaren und Bösen, mit der er sich immer wieder konfrontiert sieht, nur umso größer erscheint. Vielleicht prägt er sich (vom australischen und neuseeländischen Publikum einmal abgesehen) deswegen so schlecht ins kollektive Stargedächtnis ein. Vielleicht denkt man deswegen, er habe nur in den TV-Produktionen den leading part gespielt, die einen Kevin Costner einfach nicht bezahlen konnten – und irrt sich.

Denn Sam Neill hat auch im internationalen Kino die Welt schon des Öfteren gerettet. Aber eben dezenter als die anderen. In John Carpenters unsäglichem „Die Mächte des Wahnsinns“ (1995) kümmert er sich darum, dass Jürgen Prochnow als böser Wahrnehmungsinfekt sich nicht ausbreiten kann. Tapfer schlägt sich Neill als unermüdlicher Erzähler und Schutzengel durch Wim Wenders’ „Bis ans Ende der Welt“, und in seinem jüngsten Film „The Dish“, der gerade in den hiesigen Kinos läuft, sorgt er dafür, dass die Mondlandung überhaupt als das stattfindet, was sie in erster Linie ist: das größte TV-Spektakel aller Zeiten.

Nachdem eine Satellitenschüssel in Kalifornien ausfällt, ist Neill als Cliff Buxton, Chef eines Riesenteleskops inmitten einer gottverlassenen Schafswiese, von down under aus dafür verantwortlich, dass die Amerikaner mit Armstrongs „kleinem Schritt“ dem Schöpfer ein bisschen näher kommen und der Rest der Welt dabei Augenzeuge wird. Mit Hornbrille, Pfeife, Strickjacke und der routinierten Ruhe eines pensionierten Lateinlehrers trotzt er dem Nasa-Ehrgeiz in Gestalt nass geschwitzter Projektleiter. Kommunikationspannen kaschiert er mit gefaktem Funkverkehr aus dem All und rettet mit manch hübscher Improvisation nicht nur die Ehre seiner Teleskopmannschaft, sondern auch das Ansehen seiner Nation. Und die hat’s bitter nötig, tölpeln doch ihre Repräsentanten so durch diese charmante australische Revision des amerikanischen Apollo-Tamtams von Regisseur Rob Sitch, dass das Klischee vom strunzdämlichen Australier noch schmeichelhaft ist. Sam Neill wird das regeln. Wie immer. Und wie immer wird’s sich wieder keiner merken. Dieser Mann, der 1947 als Neuseeländer in Nordirland geboren wurde, englische Literatur studierte, nach Australien ging, schließlich von James Mason als Schauspieler protegiert und nach London geholt wurde und heute in Sydney lebt, ist fürs Unauffällige bestimmt. Der Zelig unter den supporting actors geht in der Grauzone am Rande des Kino-Olymps ein als ein „Das ist doch der Dings, der bei, wie hieß der Film noch schnell, mitgespielt hat“.

Sam Neill und das Publikum – das ist dennoch keine verfehlte Beziehung, auch wenn der Schauspieler eher ein Virtuose des Verschwindens als der unübersehbarer Präsenz ist. Auch in vielen seiner Leinwandleben setzt sich der Mythos des Sam Neill als der ewig Zurückgewiesene fort, an dem die Frau am Filmende einfach vorbeigeht, um in den Armen eines anderen zu landen. Ein gerader, aber einfältiger Geselle, wie zum Beispiel Alisdair Stewart in Campions „Das Piano“ (1993). Mit Ada, der ihm zugeteilten Frau, kehrt zum ersten Mal die Möglichkeit von Erotik in sein Kolonialistendasein. Aber dafür findet er schlicht keine Sprache. Von Leidenschaft versteht er keine Spur. Und wenn er durch ein Loch in der Wand Holly Hunter beim Liebesakt mit Harvey Keitel beobachtet, ist er weniger eifersüchtig auf den Nebenbuhler als vor allem fassungslos darüber, aus dieser Szene und ihrem Geheimnis ausgeschlossen zu sein (dass Stewart beim Spannen auch noch von einem Hund die Hand geleckt wird, zeigt, wie wenig Würde ihm die Geschichte am Ende noch lassen wird).

Seinen wenigen Auftritten, in denen er nicht als durchschnittlich Konservativer nach dem Wahren, Schönen und Guten strebt, sondern sich im „bösen“ Fach erprobt, haftet das Durchgeknalltsein eines Strebers an, dem vor lauter Anpassungsanstrengungen die Sicherungen durchgehen. Dazu zählt vor allem „Victory“ (1995), in dem ausgerechnet Sam Neill einen Gangster geben sollte, „der eine müde Verderbtheit ausstrahlt“, wie Joseph Conrad 1915 in der Romanvorlage notierte. Der ganze Ausdruck seiner Niedertracht erschöpft sich jedoch mit dem langwierigen Zerquetschen einer Küchenschabe. Im Kern aber bleibt unser Mann aus Sydney ein Guter, der im System des Verdorbenen und Korrupten immer schon verloren hat. Deswegen steht ihm der konservative Forscher aus „Jurassic Park“ (1993) ebenso gut wie der bessessene Tüftler in Peter Jacksons „Forgotten Silver“ (1996) oder der komödiantische Doppelagent in der tiefsinnigen Satire „Children of the Revolution“ (1996) von Peter Duncan.

Als Paläontologe und Chronist Dr. Alan Grant, der keine Wahrheit findet, sondern nur die Folgen menschlicher Irrtümer und allzu menschlichen Größenwahns, präparierte ihn Spielbergs „Jurassic Park“ für das Popcornkino. Grant wurde das personifizierte Gewissen des Bildungsbürgertums, das die Zerstörungen an Mensch und Natur doch nicht aufhalten kann, sondern im Gegenteil noch beschleunigt. Aus diesem Oberstudienrat versucht jetzt „Jurassic Park III“ vergeblich einen Auftragsabenteurer zu schnitzen, der für ein Scheidungspaar den vermissten Sohn aus dem unwegsamen Dinogebiet rettet. Die geklonten Vorzeitgeschöpfe sind dafür in diesem Sequel schneller, aggressiver, aber auch klüger geworden. Und ihre Kommunikation ist interessanterweise weitaus ausgereifter als die der getrennten Kleinfamilie. Nur Sam Neill ist wie immer. Keiner, dem man zutrauen würde, ohne Verletzung Feuer zu machen oder über eine Hängebrücke zu gehen. Und eben auch keiner, der eine Frau bis zur Rückgratverkrümmung küsst. Ohne Leatherman, Schweißfleckenund andere animalische Kraftmeiereien wird aus Neill nie eine Sexbombe werden. Deswegen musste Laura Dern, seine Assistentin von einst, ihn stehen lassen, so wie ihn auch all die anderen bereits stehen ließen. Sam Neill bleibt sich treu – ein supporting actor für große Tiere, monströse Technik und aufwändige Familienzusammenführung.

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