KIRCHENREFORMERN IST ES RECHT: KEINE AKTEN ÜBER PIUS XII.
: Komische Heilige, schmutzige Geschäfte

Es klingt wie eine Stellungnahme aus dem Kanzleramt von Helmut Kohl: Nein, die Akten könne man nicht herausgeben, weil es zu wenig Archivare gebe. Außerdem seien sie nicht gebunden, sondern unsortiert. Und überhaupt sei doch schon eine Auswahl der Akten publiziert worden. Mit diesen Hinweisen hat nun der Vatikan die Historikerkommission abgewiesen, die die Vorwürfe gegen Papst Pius XII. untersuchen sollte, er habe sich indirekt am Holocaust mitschuldig gemacht.

Wer so handelt, hat etwas zu verbergen. Denn die Ausrede, es gebe nicht genügend Archivare, ist lachhaft. Das Problem liegt woanders: Eigentlich wollen viele in der katholischen Kirche keine Aufklärung über diesen Fall. Dabei drängt der Papst darauf. Johannes Paul II. hat seine große Vision vor Augen, die Kirche am Beginn ihres dritten Jahrtausends zum moralischen Global Player zu machen. Da stören die dunklen Flecken der Vergangenheit – daher auch die Entschuldigung bei den Opfern des Glaubenswahns. Was die Behörde jetzt fürchtet, ist der Präzedenzfall: Öffnet der Vatikan jetzt alle Archive zu Pius XII., kommen unangenehme Fragen: Wie etwa nutzte Rom seinen Einfluss gegenüber dem Franco-Regime in Spanien oder der Pinochet-Diktatur in Chile? Welche Rolle spielten der polnische Papst und das amerikanische Geld beim Sturz der Sowjetunion?

Die Verweigerung der Akteneinsicht deutet aber auch auf einen internen Machtkampf hin. Die Wünsche des alten Papsts nach Aufklärung werden torpediert. Das Verfahren zur Seligsprechung Pius’ XII. soll nicht scheitern. Daran haben auch die moderaten Reformer in Rom ein Interesse, denn sie wollen die prekäre Machtbalance nicht stören: Immerhin steht mit dem Konzilspapst Johannes XXIII. ihr leuchtendes Vorbild für eine weltoffene Kirche kurz davor, heilig gesprochen zu werden. Und in der Tat: Komische Heilige hat die katholische Kirche schon genug. Einer mehr davon, Pius XII., richtet weniger Schaden an, als Johannes XXIII. Gutes bewirken könnte. Ein Feigling und Kollaborateur als Seliger, wenn dafür ein gütiger Modernisierer heilig gesprochen wird? Diese Alternative zeigt: Auch Kirchenpolitik ist ein schmutziges Geschäft. BERNHARD PÖTTER