UNO spendiert neues Gericht

Sicherheitsrat gibt grünes Licht für Tribunal, das die Verbrechen des Bürgerkrieges in Sierra Leone richten soll

BERLIN taz ■ Der UN-Sicherheitsrat hat am Dienstag grünes Licht für ein Kriegsverbrechertribunal im westafrikanischen Sierra Leone gegeben. In einer Erklärung billigte der Rat einen Brief von UN-Generalsekretär Kofi Annan vom 13. Juli, der die Einrichtung eines solchen Gerichtshofs für möglich erklärte. „Die erhaltenen Finanzzusagen sind ausreichend, um mit dem Aufbau und der Arbeit des Sondergerichts zu beginnen“, schrieb Annan.

Am 14. August 2000 hatte der UN-Sicherheitsrat den Generalsekretär beauftragt, mit Sierra Leones Regierung ein Abkommen zur Einrichtung eines Sondergerichts zur Aburteilung von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und andere ernsthafte Brüche des humanitären Völkerrechts“ zu schließen. Der Bürgerkrieg in Sierra Leone hat seit 1991 50.000 Tote bei einer Landesbevölkerung von vier Millionen gefordert und das Land weitgehend zerstört. Wichtigste Kriegsparteien sind die vom Nachbarland Liberia unterstützte Rebellenbewegung RUF (Vereinigte Revolutionäre Front) und wechselnde Regierungen in der Hauptstadt Freetown, wobei die Regierungsarmee längst in Milizen zerfallen ist und nur mit Hilfe westafrikanischer und britischer Eingreiftruppen überlebt hat. Alle Kriegsparteien haben grausame Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen. Seit 1999 ist in Sierra Leone die mittlerweile größte UN-Blauhelmtruppe der Welt stationiert.

Die Friedensaussichten in Sierra Leone sind spürbar gewachsen, seit sich die Kämpfe um die Vorherrschaft in diesem Teil Westafrikas im Herbst 2000 in die Nachbarländer Guinea und Liberia verlagerten. Die RUF erklärte Ende März, der Krieg in Sierra Leone sei vorbei. Die UN-Truppe ist nahezu im gesamten Land stationiert. Seit Mai organisiert ein Komitee von Regierung, Rebellen und UN-Mission erfolgreich eine Entwaffnungsaktion für Bürgerkriegskämpfer.

In dieser Situation soll nun in der Hauptstadt Freetown ein zweigleisiger Prozess der Vergangenheitsbewältigung beginnen: zum einen das UN-finanzierte Tribunal, zum einen eine „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ nach dem Vorbild Südafrikas. Beide existieren bisher nur auf dem Papier. Nun aber ist nach Annans Einschätzung zumindest für das Tribunal genug Geld beisammen. Nachdem ein erster Finanzplan vom Oktober 2000, der Mittel von 114 Millionen Dollar über drei Jahre vorsah, von UN-Mitgliedsstaaten als überdimensioniert kritisiert wurde, erarbeitete Annan ein abgespecktes Konzept, das über drei Jahre lediglich 57 Millionen Dollar benötigt. Davon sind jetzt seinen Angaben zufolge 35,4 Millionen zugesagt worden, vor allem von den USA und den Niederlanden. 15 Millionen stehen im ersten Jahr zur Verfügung, was den Plankosten von 16,8 Millionen Dollar nahezu entspricht.

Die Einsparungen entstanden durch „eine neue Gehaltskalkulation, eine Verringerung der üblichen Reservevorgaben, der Rückgriff auf sierraleonischer Institutionen und Mitarbeiter und auf Verwaltungs- und Sicherheitskapazitäten der UN-Mission“, so Annan. Anstelle eines internationalen Tribunals soll also ein sierraleonisches Gericht eingerichtet werden, das nach UN-Vorgaben arbeitet. Nach Angaben aus Freetown könnten erste Ermittlungsarbeiten im Oktober beginnen.

In Sierra Leone wird dies mit Skepsis beobachtet. „Die Massen wären äußerst dankbar, wenn die UNO und der Rest der internationalen Gemeinschaft erwägen würden, Geld zum Wiederaufbau dieser geschlagenen Nation zu geben, anstatt Riesensummen für das Sondergericht auszugeben“, kritisierte die Zeitung Standard Times in Freetown und verhöhnte das Gericht als „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für unsere Jurastudenten“. Die Zeitung fragte: „Was ist der Sinn davon, haufenweise Geld für Prozesse gegen die RUF auszugeben, wenn die Opfer keine Entschädigung erhalten?“

Bemerkenswert ist tatsächlich, dass das Sondergericht zwar finanziert ist, internationale Hilfsprogramme für Sierra Leone aber in Geldnot stecken. Die letzte Geberkonferenz für Sierra Leone im Juni stellte fest, dass im 1999 eingerichteten Wiederaufbaufonds nur noch sechs Millionen Dollar übrig seien. Die wären im August alle. Geforderte Zusagen von 31,5 Millionen Dollar seien ausgeblieben. Das UN-Welternährungsprogramm WFP, das Sierra Leones Kriegsvertriebene betreut, wird nach eigenen Angaben im September seine Mittel aufgebraucht haben.

DOMINIC JOHNSON