Keine Absolution für Pius XII.

Der Vatikan verweigert Akten zur Rolle der katholischen Kirche während des Nationalsozialismus. Eine Forschungskommission stellt empört die Arbeit ein

ROM taz ■ Schluss ist fürs Erste mit der Arbeit der katholisch-jüdischen Kommission, die die Rolle der katholischen Kirche während des Zweiten Weltkriegs untersuchen sollte: Die zuletzt noch fünf Kommissionsmitglieder haben in einem Brief vom 20. Juli angekündigt, ihre Arbeit vorerst zu suspendieren.

Ihnen war vom Vatikan die heikle Aufgabe erteilt worden, zu ermitteln, in welchem Maße genau der damalige Papst Pius XII. über die Judenverfolgung informiert war, zu der er bis 1945 geschwiegen hatte. Schließlich steht schon seit langem die Seligsprechung von Pius XII. auf dem Programm; die aber sollte ohne größere Verwerfungen mit den Juden erfolgen. Immer wieder widersprachen Historiker (aber auch der Schriftsteller Rolf Hochhuth mit seinem „Stellvertreter“) der offiziellen Vatikan-Version, Pius XII. sei über Auschwitz und Treblinka nicht auf dem Laufenden gewesen. Ein moralischer Freispruch auch durch Wissenschaftler jüdischen Glaubens – und der Weg zur Seligsprechung wäre frei gewesen.

Die Kommission – berufen von der katholischen Kirche und dem Internationalen Jüdischen Komitee für Interreligiöse Kontakte – sieht nun keine Arbeitsgrundlage mehr gegeben. Zum Zerwürfnis mit der Kurie kam es, weil Kardinal Walter Kasper, der der vatikanischen Kommission für die Beziehungen zum Judentum vorsteht, die Öffnung der Archive verweigerte. Erst im Juni hatte Kasper auf einen langen Fragenkatalog der Kommission geantwortet, der neun Monate vorher zugestellt worden war – und im Kern bestand die Antwort aus einer Abfuhr. Der Kurienkardinal ließ die Wissenschaftler wissen, sie möchten sich bitte schön in anderen Archiven umschauen oder auch Pater Peter Gumpel kontaktieren, den Prokurator des Seligsprechungsverfahrens. „Technische Gründe“ machten die Öffnung der Vatikanarchive leider unmöglich. Aus katholischen Kreisen hieß es, die Akten der Jahrgänge nach 1923 seien noch nicht gebunden und katalogisiert. Der Vatikan verfüge leider nur über zwei Archivare – so als sei das ein Naturgesetz.

Er sei „schwer enttäuscht“, dass der Vatikan nicht einmal mit einer Forschergruppe zusammenarbeite, die er selbst zur Hälfte ernannt habe, sagte der jüdische Koordinator der Kommission, Seymour Reich, gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Und in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Il Manifesto äußerte das israelische Kommissionsmitglied Robert Wistrich den Verdacht, mit der Antwort Kardinal Kaspers habe der Vatikan den Rücktritt provozieren wollen. „Wie ungehörige Schuljungen“ habe Kasper sie zurück an die Arbeit geschickt und die Erstellung des Abschlussberichtes verlangt, ohne die gewünschte Einsicht in die Akten zu gewähren. Kasper habe es nie für nötig befunden, sich mit der Kommission zu treffen.

Den Gefallen eines Kollektivrücktritts hat die Kommission allerdings mit der bloßen „Suspendierung der Arbeit“ dem Vatikan nicht getan. „Wir wollen unsere Arbeit fortsetzen“, erklärte Wistrich, „aber das können wir ohne die dazu notwendigen Instrumente nicht tun. Deshalb haben wir den Ball dem Vatikan zurückgespielt.“ MICHAEL BRAUN

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