Shell, Nigeria und die Wahrheit

Nigerias Wahrheitskommission, die die Verbrechen der Militärdiktatur untersucht, beleuchtet die Hinrichtung von Ken Saro-Wiwa. Im Zeugenstand: Der Ölmulti Shell

BERLIN taz ■ Die Hinrichtung des Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa und acht seiner Mitstreiter am 10. November 1995 durch Nigerias damaliges Militärregime ist diese Woche erneut zum Thema der nigerianischen Wahrheitskommission geworden. Die nach ihrem Vorsitzenden benannte „Oputa-Kommission“ untersucht die Verbrechen der 1999 beendeten Militärherrschaft in Nigeria und tagt derzeit in der Hauptstadt Abuja. Jetzt traten die direkten Protagonisten auf: Ken Saro-Wiwas Familie, die von ihm gegründete „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes“ (Mosop) und der Shell-Konzern, gegen dessen Ölförderung im Ogoni-Gebiet im Niger-Flussdelta sich Anfang der 90er Jahre der von Saro-Wiwa angeführte Protest gerichtet hatte.

Joy Yowika, Anwältin von Ken Saro-Wiwas Sohn, verlas am Montag einen Antrag auf Entschädigung in Höhe von 10 Milliarden Naira (200 Millionen Mark) und auf Vorladung aller 28 Mitglieder der damaligen Militärregierung. Die Hinrichtungen, sagte sie, waren Teil eines „genozidalen Angriffs“ mit dem Ziel der „vollständigen Auslöschung der Führung einer lautstarken Minderheit“. Die Kommission solle die Herausgabe der entsprechenden Akten der damaligen Militärjunta verlangen.

Ron van den Berg, Geschäftsführer von Shell-Nigeria, wurde am Dienstag drei Stunden lang von Mosop-Führer Ledum Mitee ins Kreuzverhör genommen. Mehrere hundert Ogoni-Jugendliche drängten sich im Saal, während der Shell-Manager alle Anschuldigungen zurückwies und konkreten Fragen mit dem Hinweis auswich, er sei selbst erst 1997 nach Nigeria gekommen.

Van den Berg nutzte seinen Auftritt, um Shells Forderung nach Rückkehr seines Förderunternehmens SPDC in das Ogoni-Gebiet zu unterstreichen. „SPDC braucht den Zugang zu seinen Einrichtungen im Ogoni-Land, um ihren Zustand festzustellen und sie zu sichern, damit sie Leben, Umwelt und Eigentum der Ogoni-Anwohnergemeinschaften nicht gefährden“, sagte er.

Die zur Anhörung angereisten Ogonis lassen nicht locker. Am Mittwoch musste die Polizei sie daran hindern, auf dem Parlamentsgebäude in Abuja ihre Flagge zu hissen. Der symbolträchtige Auftritt verdeckt jedoch nicht, dass die Oputa-Kommission nicht weiß, wie sie mit dem Ogoni-Thema umgehen soll. Der Antrag der Familie Wiwa läuft darauf hinaus, den Militärprozess gegen Saro-Wiwa neu aufzurollen – dafür hat die Kommission kein Mandat, denn sie ist kein Gericht.

Ohnehin gerät die Oputa-Kommission unter Druck. Teile des Militärs boykottieren sie, und heikle Enthüllungen über den ungeklärten Tod des 1993 zum Präsidenten gewählten, danach inhaftierten und in der Haft gestorbenen Politikers Moshood Abiola stehen an. Vor diesem Hintergrund stellte sich Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo am Mittwoch eindeutig hinter die Kommission. Kein Nigerianer stehe über dem Gesetz, und daher müssten alle mit der Kommission zusammenarbeiten, ließ der Präsident durch einen Sprecher erklären.

DOMINIC JOHNSON