Homoehe? Ein Luftschloss

Martin Dannecker, einer der Pioniere der Schwulenbewegung, ist wütend. Er kritisiert die falschen Hoffnungen, die mit der Etablierung eingetragener Lebenspartnerschaften verbunden werden. Eine Klage über die trügerische „Normalisierung“ des Schwulen

von JAN FEDDERSEN

taz: Ab Mittwoch werden Homoehen geschlossen. Macht Sie das froh?

Martin Dannecker: Nein. Mir scheint an der Homoehe vieles faul.

Was stört Sie? Immerhin können sich homosexuelle Paare rechtlich schützen lassen.

Na und? Das konnten sie doch über einen Notar im gewissen Rahmen auch schon vorher. Viele haben das aber nicht gemacht. Aber die Gründe für dieses mangelnde Selbstvertrauen bei vielen Schwulen wurden nie zum Thema gemacht.

Möglich. Aber ein Notar kann ein Standesamt nicht ersetzen.

Über einen Notar konnte man schon vorher Lebenspartnerverträge schließen. Das habe ich doch mit meinem ersten Lebensgefährten selbst erlebt. Als der starb, gab es ein Testament, das mich nicht ausschloss.

In dem aber Pflichtteile von Blutsverwandten nicht ausgeschlossen werden konnten.

Das nicht, aber die Mutter meines Freundes hatte sie nicht eingefordert.

Glück gehabt. Auf so viel Konzilianz konnten die meisten Homosexuellen nicht zählen. Eine Homoehe schützt vor derlei Zumutungen.

Wenn ich heirate, ja, dann hat man diese Probleme nicht. Aber darauf verzichten doch viele Heteros längst. Immer mehr meiden die Ehe für lange Zeit.

Dann verzichten sie auf das Recht. Was Homos nicht können. Ehe ist noch immer für eine Beziehung Versicherungsschutz im Gesamtpaket.

Dann geht es nur um ökonomische Erwägungen. Dann soll man aber auch nicht von Bürgerrechten sprechen.

Sie bagatellisieren. Als ob das Homoehengesetz nicht gerade gegen den ideologischen Horror der Konservativen durchgesetzt werden musste.

Dieses Argument wäre vor Jahren bedeutsamer gewesen. Die Ehe selbst hat nicht mehr die Bedeutung wie zuvor, deshalb wird jetzt auch Homosexuellen etwas Ähnliches eingeräumt.

Das Projekt konnte eben erst jetzt durchgesetzt werden.

Weil es nicht mehr so viel bedeutet.

Die Ehe hat allen Umfragen zufolge den gleichen Rang wie ehedem.

Ein Flachargument. Dass die Ehequote nicht sinkt, heißt noch lange nicht, dass die Ehe nach wie vor eine Institution ist, die Würde verleiht. Das ist vorbei.

So oder so, Homosexuelle wollen dieses Institut auch nutzen können.

Und das zu einem Zeitpunkt, da es diese Würde nicht mehr ausstrahlt.

Wollen Sie die konkrete Bedeutung des Gesetzes klein reden?

Nein, für binationale Partnerschaften auf keinen Fall.

Wenn die Ehe würdeloser geworden ist: Wie erklären Sie den Furor der Union gegen Homosexuelle?

Die Union muss es so machen und ist doch auf verlorenem Posten. Ich rede von gesellschaftlichen Strömungen, die letztlich alle Parteien erfassen.

Viele Homosexuelle verknüpfen damit die Hoffnung, gesellschaftlich normaler zu werden.

Die werden gehörig enttäuscht werden. Und das Normalitätsverlangen ist ohnehin eine Differenz gegenüber früheren Vorstellungen von Schwulenpolitik.

Was haben Sie gegen Normalität?

Normalität ist so doch nicht so attraktiv. Ich kann diese Sehnsucht nach ihr einfach nicht verstehen.

Mir kommt Ihre Angst vor der Normalität antiquiert vor. Es geht doch um rechtliche Rahmenbedingungen.

Eben nicht nur. Sondern um viel, viel mehr – um Anerkennung. Tatsächlich ist die Homoehe doch ein Luftschloss. Warum sind denn so wenige homosexuelle Paare zum Notar gegangen?

Weil es umständlich war.

Lieber Gott im Himmel: Es ist unendlich vieles umständlich im Leben, die schönen Dinge sogar immer. Hinter der Idee der Homoehe steckt doch nur der fatale, weil trügerische Wunsch nach Anerkennung.

Vielleicht ist er nicht stillzustellen.

Ja, und ein anthropologischer Sog, um am Ende eingemeindet zu werden.

Der bei Minderheiten stark wirkt.

Für sie alle gilt, dass sie die kritische Distanz zu dem gesellschaftlichen Gebilde, das sie umgibt, verlieren. So läuft man immer Gefahr, etwas – die Homoehe – für wichtiger zu halten, als es ist.

Sie kritisieren Anpassung: Könnte die nicht auch einen Gewinn bringen?

Ohne Anpassung kommen wir wohl nicht aus. Aber um einen Satz von Adorno zu paraphrasieren: Konformität ersten Grades ist etwas Schreckliches.

Ersten Grades?

Dass man sich in diesen Sog von Anpassung begibt und nichts mehr kritisch hinterfragt. Eine Haltung, bei der der eigene Blick für die Abgründe hinter dem Angepassten eingetrübt wird.

Und was ist an Anpassung zweiten Grades besser?

Bei der wird das kritisches Bewusstsein erhalten. Die Homoehe durchgesetzt zu haben wird eine ganze Zeit lang zu einer politischen Lähmung führen. Schwule Politik verschwindet völlig.

Welche meinen Sie denn?

Der Idee der schwulen Emanzipation lagen gesamtpolitische Vorstellungen zugrunde: die Transformation einer schlechten Welt.

Solche großen Erzählungen haben mittlerweile keine Leser mehr.

Gut. Aber ich lasse mir doch nicht sagen, dass es nichts bedeutet hätte.

Aber wer hätte früher gedacht, dass eine offenere Gesellschaft wie die heutige einmal möglich sein könnte.

Richtig, aber ich glaube immer noch nicht, dass wir in der besten aller Welten leben. Auch wenn die großen Erzählungen ausgedient haben: Dieser Ökonomismus von heute ist schrecklich.

Postmodernisten sagen: Es gibt nur noch Einzelne.

Und ich erwidere: Alles nur Garnitur. Eine des schreckliches Sogs, der jede rechtliche und ethische Überlegung am Ökonomismus scheitern lässt.

Ökonomismus?

Ich will das an der Debatte über die Biopolitik verdeutlichen. Ich glaube, dass die jetzt vorgetragenen rechtlichen und ethischen Bedenken am Kapitalinteresse scheitern werden.

Woher wissen Sie das?

Offenkundig setzt sich der Ökonomismus brutal durch. Wir haben auf der anderen Seite eine Kultur, die den schönen Schein erweckt, als ob vieles andere so ungeheuer bedeutsam wäre.

Was heißt „schöner Schein“?

Diese ganzen Debatten über Lebensstile, Lebenswelten und die Änderbarkeit der Subjekte. Das Kapital dominiert; die Interessen der Subjekte sind marginal.

So gesehen war auch das Outing Klaus Wowereits eine Petitesse.

War das nicht wunderbar? Da könnte man sagen: Jetzt kann man mit Homopolitik aufhören. Outing kann kein Thema mehr sein: Öffentliches Schwulsein ist nicht mehr ehrabschneidend.

Erstaunlich: ein Sozialdemokrat.

Ja, eine schandable Rolle, die die . . .

. . . SPD bei der Reform des Paragrafen 175 gespielt hat.

Leider schwang bei Wowereit auch ein „Kein Problem mehr“ mit. Illusorisch.

Warum?

Weil es immer noch spezifische Gewalt gegen Homosexuelle gibt. Überfälle, Folterungen. Solange eine latente Gewaltbereitschaft gegen Schwule existiert, man sich an uns austoben kann, ist das Problem nicht erledigt.

Ist das aber nicht auch eine Frage der langen Weile?

Hass gegen Homosexuelle wird erst aussterben, wenn es eine andere Form der Männlichkeit gibt.

Dann gibt es auch keine Heterosexuellen im gegenwärtigen Sinne mehr.

Natürlich nicht. Dann haben sich die Kontraste aufgelöst. Was auf lange Sicht nicht mehr vorhanden ist, kann mich ja jetzt nicht beruhigen. Wenn gegenwärtig etwas Schreckliches passiert: was tröstet mich dann die Hoffnung auf eine ferne Zukunft?

Klaus Wowereit hat jedenfalls die Wahrnehmung verschoben.

Ja, zu früheren Zeiten war es doch so: Wenn sich jemand outete, geriet man in einen Rechtfertigungszwang. Wowereit hat sich für nichts gerechtfertigt – und das ist auch wirklich bemerkenswert.

Für einen Mittvierziger überraschend.

Wieso?

Sein Coming-out war zu einer Zeit, als Homosexualität noch verpönt war.

Ich glaube, das hat nicht nur etwas mit der Generation zu tun. Ich kenne Zwanzigjährige, die heute die gleichen Probleme haben wie Gleichaltrige früher.

Weshalb ist das so?

Weil Heterosexuelle es am Ende doch nicht so genau wissen wollen. Die hören nur: Ich bin schwul. Sie wollen die schwulen Lebensformen nicht kennen. Sie negieren die Differenz. Das ist die andere Seite des Sogs der Normalisierung. Noch ist es offenbar zu schwierig, zu erklären, was es mit dem homosexuellen Begehren auf sich hat.

Und in dieser Hinsicht wird ja kräftig planiert.

Alles wird weggenommen. Klappen werden abgerissen. Städte betreiben antischwule Sozialhygiene. Lassen Büsche in Parkanlagen, wo Schwulen sich treffen, abschneiden. Mit größter Selbstverständlichkeit. Keine Schwulenbewegung sagt etwas dagegen.

Die Hygienisierung der Städte auf Kosten schwuler Lebensformen?

Ja. Das ist Normalisierung der Homosexualität, oder?

JAN FEDDERSEN, 44, ist taz.mag-Redakteur