: Deutsche(s) in Chile
Die ersten deutschen Einwanderer siedelten sich in Chile vor gut 150 Jahren an. Wie viele Landsleute, die es damals vor allem in die USA zog, hatten sie unter der Agrarkrise von 1846/47 gelitten; ein kleinerer Teil kehrte Deutschland nach der gescheiterten Revolution 1848 aus politischen Gründen den Rücken. Bis 1914 wanderten zwanzigtausend Deutsche in den Süden Chiles ein.
Die ersten Siedler wurden im nahezu unbewohnten Urwald in der Region zwischen Valdivia, Osorno und Puerto Montt angesiedelt. Die chilenische Oberschicht versprach sich von den verhältnismäßig gebildeten, tatkräftigen und im Schnitt doch recht demokratisch gesinnten Einwanderern gewisse Modernisierungseffekte. Und nicht zuletzt dienten die Deutschen als „Puffer“ zwischen Zentralchile und den Mapuche, den ursprünglichen Bewohnern des Südens.
Nach den Siedlern verschlug es deutsche Kaufleute, Bankiers und Unternehmer in den Andenstaat. Die 1871 gegründete „Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft“ (mit ihren drei f der Rechtschreibreform lange voraus) fährt noch heute Valparaiso an. Nach 1945 tauchten zudem nicht wenige Altnazis bei ihren früheren Landsleuten unter. Die derzeit prominentesten Übersiedler stellt die Familie Honecker.
Die deutschen Einwanderer haben sich lange von den anderen Chilenen abgekapselt. In Architektur und Kleidung sowie mit Schulen, Sport- und Schützenvereinen versuchten sie, die Gesellschaft, aus der sie stammten, möglichst getreu nachzubilden. Erst in den vergangenen Jahrzehnten kam die Anpassung an die chilenische Gesellschaft stärker in Gang, und Deutschland wurde zum Ausland.
Heute findet man die Wurzeln deutscher Einwanderer vor allem im Wurstregal und auf Kuchenkarten: „Selva negra“ („schwarzer Urwald“) steht für Schwarzwälder Kirsch, „Strudel de manzana“ für Apfelstrudel. Deutsches Liedgut wird nicht zuletzt in der U-Bahn Santiagos gepflegt: Wenn es im Dezember mit über dreißig Grad richtig sommerlich wird, werden die Wartenden mit deutschen Weihnachtsliedern berieselt. Landesweit gibt es fünfundzwanzig deutsche Schulen – allerdings ist dort Deutsch nur noch erste Fremdsprache.
Nach wie vor gibt es die „Colonia Dignidad“. 1961 war der in Deutschland gesuchte Kinderschänder Paul Schäfer mit einem Teil seiner Psychosekte nach Chile übergesiedelt. Auf dem Gebiet, so groß wie das Saarland und von Stacheldraht umzäunt, richtete er einen abgeschotteten Staat im Staat ein, der auch Pinochets Geheimdienst als Folterlager diente. Seit 1996 ist Schäfer untergetaucht.
Aus dem Gemeinwesen in Südchile praktisch nicht wegzudenken sind deutsche Feuerwehren. Auf der Webpage der Siebten Feuerwehrkompagnie in Concepción (www.septima.8m.com) kann man sich das Spritzenhaus mit Fachwerkgiebel und alte deutsche Feuerwehrautos angucken. Die deutschsprachige Wochenzeitung in Santiago, der Condor, findet sich unter: www.condor.cl. Und für knochentrockenes Heimat-Feeling: http://heimatchile.cl. MARTIN KALUZA
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