Atomklau ohne Schuldigen

Bund und Land sprechen über verschwundenes Plutonium. Bund verzichtet auf Schuldzuweisungen. Alle Anlagen sollen überprüft werden. Bürger längst nicht beruhigt

Bürgerfühlen sich radioaktiven Strahlen und einem Kartell des Schweigens ausgesetzt

FRANKFURT/M. taz ■ Das Gespräch zwischen den Experten der Atomabteilungen des Bundes und des Landes Baden-Württemberg über den Plutoniumdiebstahl aus der Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe (WAK) am Donnerstagabend war kurz – und wohl auch schmerzlos. Der Leiter der Delegation von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne), Wolfgang Renneberg, sagte, die Differenzen zwischen Berlin und Stuttgart seien ausgeräumt.

Dass es einen „Täter von innen“ gab, habe die Atomaufsicht des Landes nicht voraussehen können, so Renneberg. Genau das hatte Landesumweltminister Ulrich Müller (CDU) schon in der vergangenen Woche vor dem Landtag als Entschuldigung für das „Aufsichtsversagen“ (Greenpeace) seiner Behörde angeführt. Jetzt sollen die Sicherheitsbestimmungen aller Atomanlagen im Rückbau überprüft und eventuell optimiert werden. Müller (CDU) ist damit aus der Schusslinie. Trittin schweigt wie bisher schon in dieser Sache und WAK-Sprecher Hübner freute sich, Gastgeber dieses Gipfels gewesen zu sein. Es scheint also alles wieder gut zu sein in Karlsruhe, Stuttgart und Berlin.

Dabei war die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe in den Jahren 1999 und 2000 Spitzenreiter in der Störfallstatistik aller atomaren Anlagen in Deutschland. Vor zwei Jahren brannte es dort im strahlenden Kern der 1971 errichteten Fabrik, in der eigentlich nur die Separierung von Plutonium und Uran aus abgebrannten Brennelementen erforscht werden sollte. Gleich nach der Stilllegungsverfügung wurde bei einer Bestandsprüfung festgestellt, dass 37 unbestrahlte Brennelemente fehlten. Die meisten davon waren schon zehn Jahre zuvor „versehentlich als Schrott entsorgt“ worden, wie die WAK danach einräumen musste. Für den Verbleib von 3 Brennelementen wurde bis heute keine Erklärung präsentiert. Dieser Vorgang zog keine personellen oder organisatorischen Konsequenzen nach sich, ebenso wenig wie bisher der aktuelle Skandalfall. Nach dem bundesaufsichtlichen Gespräch jedenfalls war nicht mehr die Rede davon, dass es die Landesregierung war, die erst vor drei Jahren einen Antrag der WAK auf Streichung von Sicherheitsbestimmungen genehmigte und so dem Atomdieb Joao „Johannes“ Mertins erst die Chance zur Entwendung radioaktiver Materialien eröffnete. Auch fiel kein Wort mehr zu der Anmerkung der Karlsruher Staatsanwaltschaft vom Donnerstagnachmittag, wonach die Ursache für die Verstrahlung der Lebensgefährtin des in Untersuchungshaft genommenen Mannes aus Eschbach bei Landau mit Cäsium 137 noch immer nicht feststeht. Oberstaatsanwalt Peter Zimmermann: „Wir müssen leider davon ausgehen, dass es eine weitere Strahlenquelle gibt.“

In Landau, dem Wohnort der Lebensgefährtin des Atomdiebes, hat jetzt der Fund von strahlenverseuchter Kleidung in einem Behindertenheim der Stadt zu erneuten Protesten der Bevölkerung gegen das „Kartell des Schweigens“, so eine empörte Nachbarin auf einer Bürgerversammlung, geführt. Die Sachen gehörten der Schwester der mit Cäsium 137 verseuchten Frau; keine Behörde hatte die Heimleitung informiert. Die Bürger verlangen jetzt systematische Untersuchungen vor allem an Kindern. Schließlich ist die Cäsium-Strahlenquelle noch immer nicht gefunden und das Röhrchen mit der plutomiumhaltigen Brühe war auf einem frei zugänglichen Gelände weggeworfen worden. KPK

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