Italien unter Kontrolle

Christian Ströbele fordert nach seiner Italienreise eine unabhängige Analyse der Ereignisse von Genua. Doch bewirken könnte eine europäische Untersuchung nichts

BERLIN taz ■ Erst in der Nacht zum Freitag ist Christian Ströbele (Grüne) aus Genua zurückgekehrt. Zwei Tage hat er dort Inhaftierte interviewt und mit italienischen Offiziellen gesprochen. Sein Fazit: Die italienische Polizei hat bei ihrem Einsatz gegen Demonstranten beim G-8-Gipfel „vorsätzlich“ und „gravierend“ gegen Menschenrechte verstoßen.

Doch der Bundestagsabgeordnete der Grünen hat bereits eine Idee, wie das Nachspiel dafür aussehen könnte: Eine „europäische Untersuchungskommission aus unabhängigen Experten, die das Vertrauen der Bevölkerung genießen“, soll die Vorfälle von Genua beleuchten. Das forderte Ströbele gestern in Berlin. „Wir sind aus Genua zurückgekehrt, um das jetzt einzuleiten.“ Auch die Menschenrechtsorganisation amnesty international verlangte gestern eine Untersuchung der gewalttätigen Auseinandersetzungen durch „unabhängige Persönlichkeiten“.

Grundsätzlich ist es nicht schwierig, eine Untersuchungskommission zu gründen. Da der Begriff rechtlich nicht geschützt ist, kann sich sogar eine beliebige Anzahl von Privatleuten zusammentun und per Presseerklärung bekannt geben, dass sie nun die Vorfälle in Genua untersuchen will. Das öffentliche Interesse wird dabei natürlich umso größer sein, je mehr bekannte oder seriöse Personen in dieser Kommission mitarbeiten wollen. Der Nachteil einer solchen privaten Konstruktion ist allerdings, dass öffentliche Stellen nicht zur Auskunft verpflichtet sind.

Mehr Druck könnte da schon eine offizielle italienische Untersuchungskommission machen. Bevor jedoch die Berlusconi-Regierung eine solche Kommission einsetzt, muss der internationale Druck wohl noch erheblich steigen. Dagegen könnte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss auch von einer Minderheit der italienischen Abgeordneten – und damit gegen den Willen von Berlusconi – erzwungen werden. Die praktische Arbeit allerdings könnte seine Parlamentsmehrheit dann doch sehr behindern. Deshalb – und um die internationale Dimension der Vorfälle zu betonen – fordern einige, ähnlich wie Ströbele, den Untersuchungsausschuss beim Europäischen Parlament einzurichten.

Allerdings kann laut EG-Vertrag ein solcher Ausschuss nur eingerichtet werden, wenn kein nationales Gericht mehr mit dem Sachverhalt befasst ist – und das kann dauern. Denn allein in Italien ist mit einer Vielzahl von Klagen von Demonstranten aus Genua zu rechnen. Doch die Anbindung der Untersuchungen an das Europaparlament hat auch inhaltlich wenig Sinn, weil ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nur „Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht und Missstände bei der Anwendung desselben“ prüfen kann. Die selektiven Prügelorgien der Polizei von Genua sind jedoch nicht an EU-Recht, sondern an italienischen Vorschriften zu messen.

Es gibt zwar auch ein europäisches Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit, dieses schützt aber nur vor EU-Maßnahmen. Und in Genua gab es nicht einmal einen EU-Gipfel, sondern ein Treffen der G-8-Staaten. Die Hauptarbeit bei der Untersuchung der Vorkommnisse werden wohl italienische Gerichte auf der Grundlage von Klagen individueller Gipfelgegner leisten müssen. Und nur wenn die Gerichte in Italien die staatlichen Exzesse decken oder die Aufklärung verweigern, könnte als letzte Instanz auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingeschaltet werden. CHRISTIAN RATH
YASSIN MUSHARBASH