Glücklicher Rabattmeister

Besuch bei einem ausgeklügelten Feilschseminar im Sommerschlussverkauf

„Vor unserem inneren Auge erscheint das Produkt, das wir begehren“, meditiert der Lehrer

„Nein, tut mir leid, diese Woche sind alle Seminare ausgebucht.“ Shintaya Singh sitzt am Schreibtisch seines Kreuzberger Büros und ist sichtlich gestresst. „Ich könnte plötzlich zehn Mitarbeiter beschäftigen.“ Derzeit ist Shintaya Singh der meist gefragte Mann Berlins. Seit kurzem veranstaltet Singh im Auftrag der Berliner Verbraucherzentrale so genannte „Feilschseminare“. Die Idee kam Singh während seiner Tätigkeit als Kellner. Immer wieder berichteten Gäste des Asia-Restaurants von Schwierigkeiten beim Handeln auf den Basaren fremder Länder. Daraufhin entwickelte Singh seinen Feilschkurs. Wer ihn besteht, erhält ein Zertifikat, das zirka 75 Mark pro Person kostet. „Aber der genaue Preis wird am Ende des Seminars verhandelt“, erklärt Singh lächelnd.

Der Tag im Kreuzberger Schulungsraum beginnt für die Seminarteilnehmer mit einer Meditation. „Wir werden innerlich ruhig und gelassen“, tönt Singhs tiefe Stimme durch den Raum. „Vor unserem inneren Auge erscheint das Produkt, das wir begehren.“ Eine innere Klarheit sei vor dem Gang ins Kaufhaus unerlässlich, meint der Rabattmeister und leitet zur Philosophie des Feilschens über. Auch hier gelte das Ying-Yang-Prinzip: Im Rabattgerangel müssten die widerstreitenden Interessen des Verkäufers und des Kunden zum Ausgleich und frei nach der indischen Alltagsweisheit „you happy – me happy“ in Einklang gebracht werden.

Auf einem Tapeziertisch breitet Singh jetzt einige Dinge aus: „Komm und schau, ich habe schöne Dinge!“, schreit er der Teilnehmerin Siglinde Bruns ins Ohr. „Ich mache dir einen Guten-Morgen-Preis!“ Siglinde Bruns betrachtet eine Stickdecke. „Alles handgemacht“, insistiert er: „Wie viel willst du zahlen?“ Siglinde Bruns taxiert die Decke mit unsicheren Blicken und sagt: „50 Mark“. Singh runzelt die Stirn und stöhnt bedauernd: „O nein, nein, nein. Unmöglich, Madam. Ich mache einen Preis nur für dich: 250.“ Als Bruns 100 Mark bietet, poltert Singh los: „Wenn du das für 100 irgendwo anders findest, kannst du mich töten. Ich verspreche dir, du kannst mich töten!“ Siglinde Bruns bietet 150. Singh fuchtelt ihr mit der Decke vor dem Gesicht herum. „Das ist gute Qualität. 240 ist mein letztes Wort.“ Bruns überwindet sich und bietet 200. „Das ist verrückt“, schnaubt Singh aufgebracht. „230 ist mein allerletztes Wort.“ Bruns schlägt ein. Ein Lächeln breitet sich auf Singhs Gesicht aus. „You happy – me happy“, strahlt Singh, reicht die Decke an die Käuferin und erklärt, dass Siglinde Bruns zwar beim ersten Test durchgefallen sei, er aber die 230 Mark, die sie ihm nun in die Hand zählt, gern als Nebeneinnahme zu den „im Grunde sehr preiswerten Kursgebühren“ mitnehme. Vor allem, weil die Decke nicht mehr als 25 Mark wert sei, wie Singh schmunzelnd versichert.

Für die Abschlussprüfung hat Kursleiter Singh den Sommerschlussverkauf vorgesehen. Als Vorbereitung diktiert er seinen Schülern hilfreiche Feilschsprüche, die die Prüflinge eifrig auf Karteikärtchen mitschreiben. Ort der Übung ist ein Kaufhaus am Berliner Alexanderplatz. Zielstrebig steuert Seminarteilnehmer Norbert Korzdörfer die Sportabteilung an, greift sich eine Stretch-Radlerhose in pink und marschiert zur Kasse. „89,99 bitte“, sagt die Kassiererin. Norbert Korzdörfer nestelt seine Karteikarten hervor und liest ab: „Das geht doch bestimmt ein bisschen billiger!“ – „Okay“, lenkt die Kassiererin ein, „machen wir runde 89 Mark“. Doch Korzdörfer lässt nicht locker und greift zur zweiten Karteikarte: „Ha, ha. Das ist doch wohl nicht Ihr ernst?“ – „Doch“, sagt die Kassiererin, „89 Mark bitte“. Korzdörfer bringt die dritte Karte ins Spiel: „Das zahle ich niemals, ich kann auch woanders kaufen!“ Der Satz zeigt Wirkung: Die Kassiererin flüstert auf ihn ein: „Kaufen Sie doch einfach nicht nur eine Hose, dann bekommen Sie etwas hinzu.“ Korzdörfer überlegt kurz und zieht Karte vier: „So kommen wir nicht ins Geschäft, so nicht!“. Die Strategie geht nicht ganz auf. Korzdörfer verlässt das Kaufhaus mit drei Radlerhosen für 230 Mark, 185 Gramm geschnittener Lyoner, einem Gutschein für die Reparatur eines Rührgeräts und vier Lakritzschnecken aus der Süßwarenabteilung. Am Kaufhauseingang erwartet Herr Singh den Neufeilscher, begutachtet seine Trophäen, um dann 95 Mark Kursgebühren einzufordern. Müde und ohne ein Wort zu sagen, zahlt Korzdörfer den Lehrer aus und trottet glücklich mit seinem Zertifikat als Rabattmeister heim. MATTHIAS THIEME