Die Suche nach der verlorenen Frau

Feministische Expertinnen kritisieren das neue Grundsatzprogramm der Grünen. Zwar bezeichne die Partei Frauenpolitik als eines ihrer „Schlüsselprojekte“. Aber in dem vorliegenden Entwurf sei Geschlechtergerechtigkeit allenfalls ein Randthema

Sozialwissenschaftlerin Jansen: „Gemessen an der einstigen grünen Qualität in dieser Frage ist der Programmentwurf ein Rückschritt.“

von HEIDE OESTREICH

„In der Realität angekommen“ seien die Grünen mit ihrem neuen Grundsatzprogramm, hieß es in den Kommentaren. Das sagt viel aus über die Stellung, die Frauenpolitik in der Realität einnimmt. Denn die Partei, die sich einst feministisch nannte, verliert in ihrem Grundsatzprogramm nur wenige Worte zum Thema Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern.

Nun übten Feministinnen harsche Kritik an dem Entwurf, den ein quotiertes Gremium erarbeitet hat. Frauenpolitik wird zwar als eines der zwölf „Schlüsselprojekte“ der Grünen bezeichnet, von dem es heißt: „Alle Politikfelder müssen auf den Prüfstand der Geschlechtergerechtigkeit.“ Eine durchaus realistische Forderung, denn Gender-Mainstreaming, das Fremdwort für dieses Vorhaben, ist offizielle deutsche Regierungspolitik und zudem eine Vorgabe der EU. Doch in ihrem eigenen Programmentwurf haben die Grünen es kaum berücksichtigt.

„Die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt einen ernst zu nehmenden Hinderungsgrund für weibliche Karrieren dar“, heißt es dort. Dagegen tun wollen die Grünen, was auch Frauenministerin Bergmann von der SPD gerade propagiert: „Wir wollen die Erziehungszeiten für Frauen und Männer gleichermaßen attraktiv gestalten.“

Zum Beispiel müssten „Parteien und Institutionen ihre Durchlässigkeit für Frauen erheblich erhöhen“ (Kapitel demokratische Rechte). Oder es wird festgestellt: „Solange politische Macht- und Entscheidungspositionen, bezahlte und unbezahlte Arbeit, Einkommen und Zeit nicht gerecht verteilt sind, ist unsere Gesellschaft nicht geschlechtergerecht“ (Kapitel demokratische Erneuerung).

Gender-Mainstreaming könnte aber einiges mehr beinhalten, finden die Frauenpolitikexpertinnen, deren Stellungnahmen die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung im Internet veröffentlicht hat. „Der Entwurf spiegelt den politischen Bestand des gesellschaftlichen Mainstreams und gibt keinen neuen Impuls. Gemessen an der einstigen grünen Qualität in dieser Frage, ist er ein Rückschritt“, konstatiert etwa die Sozialwissenschaftlerin Mechthild Jansen. Die Entwicklungshilfefachfrau und Publizistin Christa Wichterich spricht von einer „Luftnummer“. „Mager“ findet die Soziologin Hildegard Maria Nickel den Entwurf. Exemplarisch zeigen Wichterich und Nickel, was Gender-Mainstreaming in den einzelnen Bereichen hätte bedeuten können.

Im Kapitel Ökologie etwa sieht Wichterich die Kategorie Geschlecht „vollständig zurück in die Unsichtbarkeit geschickt“: So seien die zivilgesellschaftlichen Ansätze, die sich nach der Umweltkonferenz von Rio als „Agenda 21“ durchgesetzt hätten, nicht einmal erwähnt. Anstatt Ressourcengerechtigkeit zu verlangen und damit die zwischen den Geschlechtern ungleich verteilte Kontrolle über Wasser oder Boden zu thematisieren, gehe es im Programmentwurf lediglich um „Umweltschutz“. Indem die Pflichten wie Mülltrennung und Energiesparen den Privathaushalten zugeschoben würden, landeten sie letztlich bei den Frauen. Diese hätten somit „minimale Kontrolle, aber maximale Verantwortung“, fasst Wichterich zusammen. Diesem Problem müsste das Programm sich ihrer Ansicht nach widmen. Aber „Machtverhältnisse kommen in diesem Kapitel nicht vor“.

Auch im Bereich Sozialpolitik kann Hildegard Maria Nickel „nicht viel mehr als Emanzipationsrhetorik“ entdecken. Man wolle nicht, dass „Frauen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden“, heiße es im Entwurf – „allenfalls eine Defensivstrategie“, kommentiert Nickel. Weniger Staat wollten nun auch die Grünen. Doch wer auch Haus- und Pflegearbeiten aufwerten will, der brauche in bestimmten Bereichen erst einmal „mehr Staat“. Wie die Grünen zu einem „neuen Normalarbeitsverhältnis von Männern und Frauen“ kommen wollten, sei dem Entwurf jedenfalls nicht zu entnehmen.

Auch alle anderen Politikfelder, so stellt Mechthild Jansen fest, „stehen in diesem Programmentwurf in keinem Zusammenhang mit den Geschlechterverhältnissen als basalen und grundlegenden gesellschaftlichen Verhältnissen.“ Der numerische Ausdruck der Geschlechterdemokratie, die Quotierung, sei nicht einmal erwähnt. Frauen als Subjekte, so Jansens Schluss, seien in diesem Entwurf von der Bühne verschwunden. Das scheint der Preis dafür zu sein, dass die Grünen in der Realität angekommen sind.

Die feministische Kritik am Entwurf des Grundsatzprogramms:www.glow-boell.de