Ganz oder gar nicht

Die kostbare Privatbibliothek des verstorbenen Wirtschaftshistorikers Jürgen Kuczynski wartet auf einen Käufer

Jürgen Kuczynski, einer der bedeutendsten deutschen Wirtschaftshistoriker ist 1997 gestorben. Er hinterließ eine Privatbibliothek, die 70.000 Bücher und 35.000 Zeitschriften und Hefte umfasst. Wie sollen die Erben damit umgehen? Die Unterhaltskosten wären immens. Kuczynskis Kinder, der Publizist Thomas Kuczynski, sein Bruder Peter und seine Schwester Madeleine, kümmern sich um diesen Nachlass. Da aber die finanziellen Mittel nicht gegeben sind, wird verkauft. Und zwar für zwei Millionen. Ein Preis, der weit hinter dem realen Wert der Sammlung zurückbleibt, berücksichtigt man die Erstausgaben, persönlichen Widmungen und seltenen Bücher, die hier in einem Haus in Weißensee stehen.

„Würde man nur die Rosinen verkaufen“, so Thomas Kuczynski, „so wäre der Endbetrag weitaus höher.“ Aber hier geht es um mehr. Die Bibliothek soll so erhalten bleiben, wie sie ist: als ein Gesamtkunstwerk, das Ende des 18. Jahrhunderts seinen Anfang nahm. Würde man nur die seltenen und kostbaren Bücher verkaufen, so müsste der Rest, der nicht so viel Interesse findet, antiquarisch verhökert werden. Nach dem Willen der Erben soll diese Privatbibliothek zudem einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, die sie weiterhin sinnvoll nutzt. Am liebsten als eigenständige Sammlung, aber auch als Teil einer Großbibliothek. Denn hier spiegelt sich Kulturgeschichte.

Eine kleine Geschichte der Bibliothek: Ende des 18. Jahrhunderts wurde von einem begeisterten Kantianer der Grundstock geschaffen und von den Nachfahren ständig erweitert. Bis 1933 hatte die Bibliothek einen Umfang von ca. 60.000 Bänden. Ein Großteil wurde mit in die Emigration nach England gerettet. Der kleinere Teil blieb in Nazideutschland zurück und wurde vernichtet, anderes musste aus wirtschaftlichen Gründen verkauft werden. 1950, als die Familie Kuczynski in die DDR übersiedelte, gab es noch schätzungsweise 40.000 Bände. Bis zu seinem Tod hat Jürgen Kuczynski den Bestand durch Nachkauf der verloren gegangenen Stücke und Neuanschaffungen wieder aufgestockt. Die Bibliothek füllt nun ein gesamtes Haus, fast alle Wände vom Erdgeschoss bis zum Dach mit Bücherregalen.

Einige Bücher waren zum Zeitpunkt des Todes von Jürgen Kuczynski unter bibliothekarischen Gesichtspunkten geordnet und andere nach seinem persönlichen System sortiert. Eine Arbeitsbibliothek eben. Thomas Kuczynski hat nun Monate damit zugebracht, diese Menge von Büchern abzustauben und wenigstens in eine thematische Ordnung zu bringen, um die Möglichkeit zu haben, sie eventuellen Interessenten angemessen zeigen zu können. Das Haus ist menschenleer, nur ein paar Möbel und natürlich die gefüllten Bücherregale stehen noch. Und nun wird ein Käufer gesucht. Die meisten deutschen Uni-Bibliotheken haben bereits abgewunken, entweder weil sie keine Dubletten erstehen wollten oder aus finanziellen Gründen. Denn mit dem Kauf der Bibliothek alleine ist es nicht getan. Zwei Millionen Mark allein wären nicht viel, doch müssen die Bücher katalogisiert und (obwohl großteilig in exzellentem Zustand) auch restauriert werden. Zudem ist die Aufarbeitung der Nachlässe von Jürgen Kuczynski und seinem Vater für Historiker und Wirtschaftswissenschaftler zwar ein reiches Feld, aber eben auch ein kostenintensives.

Trotzdem geht Thomas Kuczynski davon aus, noch in diesem Jahr verkaufen zu können. Auch eine Privatuniversität aus Japan und Käufer aus den USA haben Interesse gezeigt. „Diese Bibliothek hat schon zwei Emigrationen, eine nach Frankreich und eine nach England, überstanden. Und wenn dieses Land sie nicht haben will – warum nicht Japan?“, so Thomas Kuczynski.

Es ist ein unglaubliches Gefühl, in diesem Haus zu stehen und zu wissen, dass das einmal die Arbeitsbibliothek des Gründers des Instituts für Wirtschaftsgeschichte der DDR beherbergt hat. Und es wäre schön, wenn sich eine Stiftung fände, die diesen Schatz in Berlin der Öffentlichkeit zugänglich machen würde. WERNER LABISCH