harald fricke über Shopping
: Der feuchte Mief von Bäuchen

Im Sommer kann ich einfach keine Sommerkleidung kaufen. Nirgends riecht es nach Johnny Depp

Im Sommer kann man keine Sommerkleidung kaufen. Unmöglich, es geht einfach nicht. Zu Hause schon fühlt man sich dick und unförmig, jedenfalls nicht auf Linie mit den Hemden und Hosen, die dieses Jahr in Mode sind. Wer ist auch bloß auf die Idee gekommen, Männer in eng anliegende Kinder-T-Shirts zu zwängen, die mehrere Nummern zu klein ausfallen müssen, damit sie in sind?

Unwirsch schleicht man um die Regale, greift zögerlich nach einem hängerchenweiten Polohemd, das am Strand die Rundungen dezent verdecken könnte, und begibt sich damit Richtung Umkleideräume. Dort aber wartet ein Übel, noch größer als der angefressene Speck: Es ist der feuchte Mief von tausend anderen Bäuchen, der Gestank von schwitzenden, aus dem Leim gegangenen Männerkörpern, der im Sommer aus jeder Kabine aufsteigt und säuerlich in der Nase beißt wie ein Lied der Wildecker Herzbuben. Das ist würdelos für alle Beteiligten, denn nach mir wird ein anderer riechen, was der Sommer auch mir an Ausdünstungen abverlangt. So geht es jeden Juli: Bekleidungshäuser sind ein Sammelbecken für geronnenen Schweiß, vermengt mit Deodorant und sicher auch Keimen, die Pickel machen in der Achselhöhle. Der Mann, der vor mir war, hat Spuren im Hemd hinterlassen, die sich zur nächsten Anprobe mit den Resten meines flüssigen Ichs mischen werden. Oh Gott, igitt.

Die schlimmste Zeit, in der der Mensch dem Menschen ein Wolf ist – zumindest in puncto Geruch –, hat am Montag begonnen. Denn der Sommerschlussverkauf enthemmt ja überhaupt alle und jeden, sich auf Jagd nach Billigangeboten massenweise in Kleidung zu zwängen, die man nüchtern betrachtet ohnehin nie tragen würde. Da sind zum Beispiel Hosen der Firma Maharishi, die mit allerlei Moorflecken knieabwärts bestickt wurden. Der Schnitt erinnert an Jeans, aber ein besonderes Zertifikat weist sie als „snopants“ aus. Darunter soll man sich einen stark reflektierenden Stoff vorstellen, der von der US Army seit 1995 als Camouflage entwickelt wurde. Die Hosen strahlen im Dunkeln angeblich vorbeifahrenden Autos entgegen. Das macht sie, so will es der Hersteller, sehr verkehrssicher. Diese Logik hat nur einen Haken: Warum sollte die US Army ausgerechnet Tarnstoffe fertigen lassen, die durch extreme Leuchtkraft auffallen?

Vielleicht liegt es an diesem Denkfehler, dass die innovativ glitzernde Hose schon eine Weile bei Peek & Cloppenburg hängen geblieben ist. Bis zum Sommerschlussverkauf. Nun kostet das Einzelstück nur noch ein Drittel des Originalpreises, und es sieht aus wie ein zerwühltes Bettlaken, an dem sich eine Kompanie auf Berlinurlaub zu schaffen gemacht hat. Vielleicht kann man damit noch den Fußboden wischen; dann wäre es allerdings ein doch ziemlich teurer Feudel.

In solchen Momenten leidet man für den Designer mit. Hat er nicht unglaublich viel Zeit darauf verwendet, die Moorflecken für das Hosenbein zu entwerfen? Ist nicht auch dieses unnütze Produkt der Bekleidungsindustrie ein Ausdruck von selbst bestimmter Arbeit? Sicherlich hat der Modemacher stets an die Schönheit gedacht, die ein solches Modell entfalten könnte, wenn es von Johnny Depp oder einem gut gebauten Raver zur Love Parade getragen würde. In seiner Fantasie sah er bereits Fun-Sportler, die sich abends nach Mountainclimbing oder Paragliding in der Disko treffen – und alle tragen neben kondomengen T-Shirts die gleiche Hose, seine „snopants“, den letzten Schrei auf dem Fun-Sport-Bekleidungssektor. Das wäre das Glück gewesen, ein Triumph der Erfindungsgabe, die sich nicht mit dem anonymen Marketing zufrieden geben will, das auf den Preisschildern von Benetton die Kunden verhöhnt: „Dies ist eines von 80.000.000 Bekleidungsstücken, die von Benetton jährlich hergestellt und in 120 Ländern der Welt verkauft werden.“

Nun ist die Hose ein obskurer Fetzen unter vielen, das Opfer eines Trends, den niemand haben wollte. Wo Mode war, ist Ausschuss geworden. Und, merkwürdig, aber wahr, plötzlich scheint sich all das Wünschen und Begehren ihres Herstellers noch einmal in der Hose zu verdichten: Nimm mich, brüllt der Stoff, ich bin ein Außenseiter, das letzte bisschen Eigensinn auf einem Markt, der von Denimjeans und grauen Anzügen beherrscht wird. Sei anders, lehne dich auf gegen den Hosen-Mainstream und leuchte, wenn es dunkel wird, über Berlin. Es ist doch nur ein Schnäppchen.

Aber bevor es zum Äußersten kommt, bevor die Hysterie angesichts runtergesetzter Ramschartikel einen fortreißt in die Abgründe der irregeleiteten Produktion, nehmen die Zweifel wieder zu. Noch einmal riecht man an der Hose, und sie duftet nicht nach Johnny Depp, sondern wie alle Waren auf dem Wühltisch auch: nach Schweiß und Sommerschlussverkauf.

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