Im Grenzgebiet gestrandet

Die Türkei will ihre Migranten loswerden. 300 Afrikaner landeten im Niemandsland an der griechischen Grenze und saßen tagelang dort fest

USA: die Türkei geht nicht hart genug gegen Menschenschmuggel vor

ISTANBUL taz ■ Schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Afrikaner wirft der türkische Menschenrechtsverein (IHD) den Sicherheitskräften des Landes vor. Aus rein rassistischen Motiven, so ein Sprecher des IHD, seien vor drei Wochen bei Razzien in und um Istanbul rund 300 Afrikaner aus unterschiedlichen Ländern festgenommen und einige Tage später zur türkisch-griechischen Grenze gekarrt worden. Dort wurden die Migranten mit vorgehaltenem Gewehr gezwungen, den Grenzfluss nach Griechenland zu überqueren. Da die Griechen sie wieder zurückgeschickt hätten, die türkische Gendarmerie aber die Grenze zur Türkei versperrte, saßen daraufhin knapp 300 Afrikaner ohne Nahrung tagelang im Grenzgebiet fest.

Die Informationen des türkischen Menschenrechtsvereins stammen im Wesentlichen von Flüchtlingen, denen es später gelang, per Bus wieder nach Istanbul zurückzukehren. Eine Gruppe von Mitarbeitern des IHD, die von Istanbul aus in die Grenzregion reiste, wurde der Zutritt zu dem Niemandsland nicht gestattet, so dass sie vor Ort nicht feststellen konnten, ob sich immer noch Afrikaner in dem militärischen Sperrgebiet aufhalten. Eine Delegation des UN-Flüchtlingswerkes UNHCR, die auf griechischer Seite die Grenzregion besuchen durfte, fand jedoch keine Flüchtlinge mehr vor. Das türkische Innenministerium hat auf Anfragen des IHD und der türkischen Presse bislang nicht reagiert. Ein Sprecher der Grenztruppen behauptete gegenüber Presseagenturen, von dem Vorfall keine Kenntnis zu haben.

Nach Angaben von rund 100 Flüchtlingen, mit denen Mitarbeiter des IHD in den letzten Tagen sprachen, wurden bei den Razzien am 7. Juli Schwarze nur auf Grund ihrer Hautfarbe festgenommen. Egal, ob die Betreffenden legal eingereist waren oder sich illegal im Land aufhielten, bekamen alle ein Schreiben vorgelegt, indem sie erklären sollten, dass sie von Griechenland aus in die Türkei eingereist seien und nun dorthin zurückwollten.

Einige der Flüchtlinge berichteten dem IHD, die Polizei hätte die Seiten aus ihrem Pass enfernt, aus denen ihre legale Einreise in die Türkei hervorgegangen wäre. In der Haft seien sie geschlagen worden, mehrere Frauen seien vergewaltigt worden. Bei dem vergeblichen Hin und Her über den Grenzfluss seien gar drei Menschen ertrunken. Diese Information konnte allerdings von Mitarbeitern des IHD trotz intensiver Nachforschungen nicht bestätigt werden.

In der Türkei und vor allem im Großraum Istanbul halten sich vermutlich Zehntausende von Flüchtlingen aus Asien und Afrika auf, die versuchen, von hier aus in die EU einzureisen. Der größte Teil von ihnen lebt illegal in der Türkei. Nach geltendem türkischem Recht können nur Flüchtlinge aus Westeuropa in der Türkei Asyl beantragen. Alle anderen, die sich derzeit als Flüchtlinge in der Türkei aufhalten, können lediglich versuchen, über den UNHCR eine vorübergehende Duldung zu erhalten. Für die allermeisten ist Istanbul aber nur eine Transitstation, von wo aus sie mit Hilfe so genannter Schlepper möglichst schnell weiterkommen wollen. Deshalb bemühen sie sich erst gar nicht um eine Legalisierung ihres Aufenthaltes.

Für die türkischen Behörden sind diese Flüchtlinge eine Last, die man möglichst gar nicht erst ins Land lassen will oder, wenn sie schon da sind, auch möglichst schnell wieder loswerden will. Deswegen werfen die EU und die USA der Türkei vor, sie würden „Menschenschmuggel“ nicht wirksam bekämpfen. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte das US-Außenministerium eine Liste der Länder, die angeblich gegen Menschenschmuggel nicht hart genug vorgehen. Neben Staaten wie Weißrussland und der Ukraine wurde dort auch der Nato-Partner Türkei angeprangert.

JÜRGEN GOTTSCHLICH