Hans Toschke ist tot

Der Teppichverkäufer lieferte das Vorbild für eine der komischsten Figuren der Literatur. Eckhard Henscheids „Trilogie des laufenden Schwachsinns“ machte ihn unsterblich

Vor zwei Wochen, am 20. Juli, verstarb in Amberg Hans Toschke. Er „stürzte aus dem Fenster seiner Wohnung im Dreifaltigkeitsviertel“, berichtete die Amberger Zeitung am 21. Juli 2001 und trauerte: „Mit ihm starb ein Stück Amberg, als es noch wild und ungezähmt war.“ Hans Toschke wäre in diesem Jahr am Heiligen Abend 87 Jahre alt geworden.

Hans Toschke gab das Vorbild ab für den legendären randalierenden und stets ordentlich alkoholisierten Teppichverkäufer Hans Duschke in Eckhard Henscheids Epochalroman „Geht in Ordnung – sowieso – – genau – – –“, dem zweiten Teil der Trilogie des laufenden Schwachsinns. Er bleibt uns aber auch als der verzweifelte, gescheiterte Theatermann Ferenc Knitter aus „Franz Kafka verfilmt seinen Landarzt“ oder als manischer und wunderbar konfuser Monologisierer der Henscheid-Erzählung „Aufzeichnungen eines sehr schmutzigen alten Mannes“ erhalten.

Ich habe Hans Toschke im April vergangenen Jahres noch kennen lernen dürfen, aus Zufall. Eckhard Henscheid, Michael Rudolf und ich saßen am Tisch eines Eiscafés am Amberger Marktplatz, die Sonne schien prächtig, die schöne Kirche behütete das betörende Treiben um uns herum. Plötzlich unterbrach Henscheid das Gespräch und fragte, ob man Hans Toschke beziehungsweise Hans Duschke kenne. Freilich war er Herrn Rudolf und mir ein Begriff, mehr denn jede andere literarische Gestalt: jene Epiphanie des beseelenden Lärmens, besinnungslosen Wütens, konkurrenzlosen Krakeelens, der akrobatischen Beleidigung und des mäandernden, wie für sich selbst erschaffenen Schimpfens, der indes genauso sehr traurigen Ausweglosigkeit, Narrheit und Verirrung in allen Fragen des Lebens, vornehmlich der Weiber und des Geldes.

Wir drehten uns in unseren Stühlen um und sahen Hans Toschke über das Pflaster herantapsen, einen kleinen Mann mit wehendem weißen Haar, fein in Hemd und Anzug gekleidet. Er ging an der Krücke, schlich geradezu herzu, als wolle er bloß nicht entdeckt werden, hielt mehrmals inne, stützte sich auf die Krücke und grüßte mit einer großen Hand irgendwen, den er wohl doch ganz gern erspähte an diesem herrlichen, warmen Tag.

Als Hans Toschke am Tisch angelangt war, grüßte er froh „den Eckhard“, erheischte einen Platz und ließ sich, sehr wackelig, neben mir nieder, um erst einen Kakao und dann aber lieber ein Weizenbier zu ordern. Ich war umgehend verzaubert, eingesponnen von der Anmutung dieses zerbrechlichen Kerls. Aus dem zerknitterten, tief zerfurchten, ledrigen Gesicht blitzten angriffslustige dunkle Augen, und als trotzte er glashart dem allgemeinen körperlichen Ruin, fingerte er seinen Javaanse aus der Westentasche, rollte eine, erbat Feuer und inhalierte tief und genüsslich, begleitet von vielen „Aaahs“ und „Neeiiins“, sobald Henscheid, sein zweiter Schöpfer, und er über irgendwelchen Damen- und Finanzverwicklungen in größtenteils gespielte Streitereien verfielen.

Der „vergilbte Furioso der Gemeinheit“ („Geht in Ordnung“), „der ein gerüttelt Maß Stolz für sein Leben empfand“ (Amberger Zeitung), freute sich über unsere Anwesenheit. Verschwörerisch tuschelte er mir pausenlos zu, wie oft er, der unmäßig havarierte ehemalige Spielleiter des Amberger Theaters, der Kneipenwirt, Versicherungsvertreter, Insektenvernichter und Hosenverkäufer, auf diversen Urlaubsreisen von zechenden Strandbrüdern als „Duschke, jawohl, hehe, Duschke“ erkannt worden war und deshalb wochenlang Freibier in sich hineinschütten durfte. „Einwandfrei, sage ich, einwandfrei!“

Die Sechsämtertropfen fehlten an diesem Tag, und Duschke, der herzberückend weiter durchs verwitternde Leben ramenternde Prahlhans und Charmeur, verströmte zugleich eine eigentümliche Milde und kindliche, kalmierende Einfalt. Sauwohl fühlte er sich wahrscheinlich – und ich erst recht, nicht ahnend, dass es mein „Abschiedsidyll Duschkes“ („Geht in Ordnung“) sein sollte. Hans Toschke wollte gewisslich nicht seine „pechschwarze Seele entlasten, entlüften, bevor sie, in leider schon absehbarer Zeit, vor Gottes Thron gerufen wird“ („Aufzeichnungen“), mir schien, er wuselte und schwätzte und plärrte ein wenig in Anwesenheit seines Autors und seiner Verehrer einfach fraglos glücklich vor sich hin.

„Wir sehen uns wieder, ja?“, sagte Hans Toschke, da er mühsam aufbrach und über den grandiosen Amberger Marktplatz in den hellblauen Tag hinfort schlich, ja davonfloss, seiner kleinen Wohnung über der Metzgerei im Dreifaltigkeitsviertel entgegen. JÜRGEN ROTH