: Fischerboote gegen US-Marine
Trotz massiver Proteste führt die US-Marine erneut große Manöver auf der kleinen Karibik-Insel Vieques durch - obwohl erst am Sonntag 70 Prozent der Inselbevölkerung in einer Volksabstimmung gegen die Präsenz der Militärs stimmten
von BERND PICKERT
Die Bevölkerung von Vieques, der kleinen Karibikinsel östlich der Hauptinsel von Puerto Rico, tut was sie kann. Sie hat protestiert, friedlich und gewaltsam, Strategien des zivilen Ungehorsams erarbeitet, der US-Regierung ein Ultimatum gestellt - vergeblich. Seit zwei Tagen wird Vieques erneut von der US-Marine bombardiert. 25.000 US-Marinesoldaten sind im Einsatz bei den größten Manövern seit zwei Jahren, die noch bis Ende kommender Woche andauern sollen.
Fast jeden Monat führt die US-Marine in Vieques militärische Übungen durch. Da werden fiktive Ziele bombardiert, mal mit scharfen Bomben, mal mit Dummys, da wird die Insel von See beschossen, Landungsmanöver geübt und tonnenweise militärischer Abfall auf der Insel und in den Gewässern rund um Vieques liegen gelassen. Die Bevölkerung klag über die Verschmutzung, pranger eine unverhältnismäßig hohe Zahl von Krebs- und Asthmaerkrankungen an und fühlt sich gedemütigt.
Ihr Protest gegen die Militärpräsenz ist inzwischen in die Jahre gekommen: Schon 1978 bekamen die Fischer von Vieques vom US-Admiral Robert Fanagan zu hören, dass sie wegen gemeinsamer Nato-Manöver drei Wochen lang nicht ausfahren dürften. Die Fischer warnten, sie würden das nicht hinnehmen und wurden ausgelacht. Schließlich fuhren sie mit 40 Fischerbooten mitten ins Schießgebiet - die Manöver mussten abgebrochen werden.
Doch erst, seit eine fehlgeleitete Bombe 1999 einen Zivilisten im nicht-militärischen Bereich der Insel tötete, gewannen die Proteste erneut an Stärke - und wurden seither unüberhörbar (www.viequeslibre.addr.com). Prominente wie Robert J Kennedy, ein Neffe des einstigen Präsidenten, schlossen sich dem Protest an - und wurde prompt von den Marines wegen des unerlaubten Betretens militärischen Sperrgebietes für 30 Tage in den Knast gesteckt, aus dem er erst vorgestern entlassen wurde. Inzwischen befindet sich Kennedy wieder in Vieques, um sich an den Protesten gegen die aktuellen Manöver zu beteiligen. „Was die Marine hier macht, ist falsch, es ist arrogant und demütigend und es zeigt die schlimmste Seite Amerikas,“ begründet Kennedy sein Engagement.
Die Wut über die Behandlung durch die US-Marine sitzt tief. Seit 1938 wird die 34 Kilometer lange und bis zu acht Kilometer breite Insel als US-Militärstützpunkt genutzt. 1941 begann die US-Regierung mit Zwangsenteignungen für den Aufbau von Munitionslagern und Übungsgeländen. Inzwischen sind mehr als drei Viertel der Inselfläche vom Militär in Beschlag genommen, auf den verbleibenden 28 Quadratkilometern in der Mitte der Insel leben die rund 9.400 InselbewohnerInnen. Die Militärpräsenz hat die ökonomischen Perspektiven nachhaltig zerstört: Über 50 Prozent der Menschen sind arbeitslos. Die Gemeinde versucht, die traumhaften Karibikstrände touristisch zu vermarkten, hat eine Hotel- und Transportinfrastrutktur aufgebaut - doch wer sonnt sich schon gern bei lautem Kampfgetöse?
Im Juni diesen Jahres nun gab US-Präsident George W. Bush bekannt, das Militär werde sich 2003 von der Insel zurückziehen - sofern ein alternativer Standort für die Manöver gefunden werden könne. Daraufhin hagelte es Proteste von Seiten der Militärs und der Konservativen im US-Kongress. Die Republikaner sind in der Frage gespalten - einerseits fühlen sie sich dem Militär und seinen Bedürfnissen verpflichtet, andererseits bangen sie um die Wählerstimmen der „hispanischen“ Community.
Jetzt versucht die US-Regierung, sich versöhnlich zu geben: Seit zehn Tagen bietet sie Wirtschaftshilfe für Unternehmensgründungen an und will den Fischern, die während der Militärmanöver nicht aufs Meer können, für jeden verlorenen Tag 100 Dollar auszahlen. Doch diese Gesten kommen ein bisschen spät. Am Sonntag vergangener Woche führten die EinwohnerInnen in Eigenregie ein Referendum über den sofortigen Abzug der Marine durch. 70 Prozent stimmten zu. Doch das ist nicht mehr als eine erneute Willensbekundung ohne bindende Wirkung. Die Manöver laufen weiter. Es wird scharf geschossen.
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