Otto Schily gibt jedem Zucker

Der Innenminister hat gestern seinen Referentenentwurf für ein Zuwanderungsgesetz präsentiert. Darin macht er Zugeständnisse an alle Seiten

von SEVERIN WEILAND

Otto Schily ist gut gelaunt. Obwohl er für diesen Auftritt seinen Urlaub in der Toskana hat unterbrechen müssen. Aber es geht schließlich um den Referentenentwurf zur Zuwanderung, der streng abgeschirmt in den vergangenen Monaten in seinem Haus erabeitet wurde und nun an diesem Freitagvormittag in Berlin präsentiert wird.

Der Bundesinnenminister selbst hat in Italien „einige Nächte drangegeben“, ließ sich über Fax und Telefon über den Stand der Dinge aus seinem Ministerium informieren. Es sei, sagt Schily auf eine provokative Frage nach seinem Urlaubsort scherzhaft, sehr heiß in der Toskana, aber „das hat meinem Denkvermögen keinen Abbruch getan“. Aufgeräumt kann der SPD-Politiker sein, denn im Referentenentwurf gibt es für jede Seite ein Lockmittel, so dass sich Lob einfach einstellen muss.

Und so geschieht es denn auch. Claudia Roth, die Grünen-Vorsitzende, hat das umfangreiche Werk zwar ein wenig spät erhalten und damit noch nicht die Details lesen können. So viel aber glaubt Roth schon sagen zu können: Dass der Gesetzentwurf überhaupt zustande gekommen ist, sei „ein Erfolg grüner Beharrlichkeit“. Es gebe ein Punktesystem für Zuwanderer, beim Spracherwerb stünden nunmehr Anreize und nicht Sanktionen im Vordergrund und mit der Beschränkung auf nunmehr zwei Aufenthaltstitel werde eine Entbürokratisierung eingeleitet.

Nur die PDS klagt

Irgendwie sind alle zufrieden, bis auf die PDS, die von einer „Handreichung für die CSU“ spricht. Dagegen findet der FDP-Vertreter Max Stadler im „Großen und Ganzen“ Positionen seiner Partei wieder, und Peter Müller, der Vorsitzende der CDU-Zuwanderungskommission, erkennt eine „Reihe von Punkten“, die den Forderungen der Union entsprechen: etwa die Zuwanderung zu begrenzen, den Asylmissbrauch zu bekämpfen oder auch das Signal, das Familiennachzugsalter in bestimmten Fällen von derzeit 16 auf 12 Jahre herabzusenken, wo doch seine Partei 6 Jahre gefordert hat. Es gebe also Raum für Gespräche, sagt Müller.

Das wird Schily auf seinem Rückweg in die Toskana gern hören, hat er doch, wie er erzählt, vom Bundeskanzler den Auftrag erhalten, ein Gesetz zu formulieren, um im Bundesrat „die Mehrheit zu gewinnen“ und nicht „nach den Wünschen der Koalitionsfraktionen zu gehen“. Die Wünsche, das dürften in erster Linie die der Grünen sein. Ob er diese bei einem Konsens möglicherweise einfach außen vorlasse? „Nein, das kann ich nicht“, antwortet Schily. „Kann“ – sagt er, nicht „will“.

Die SPD hatte bereits vor rund drei Wochen ein restriktives Zuwanderungspapier vorgestellt, das sich schon weitestgehend an Schilys jetzigem Entwurf orientiert. Der Vizefraktionschef Ludwig Stiegler war bei der Präsentation von den Zahlen der Süssmuth-Kommission abgerückt. Und so finden sich auch in Schilys Pressetext über den Referentenentwurf keine Zahlen. Die Süssmuth-Kommission hatte in einem ersten Schritt 50.000 Migranten pro Jahr vorgeschlagen. „Zahlenspiele führen zu gar nichts“, sagt Schily. Die Einwanderung solle zielgenauer werden, an den Bedürfnissen der Regionen und den wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik insgesamt ausgerichtet.

So gilt denn auch der eigentliche Zuwanderungsbereich im Entwurf zunächst für jene schmale Gruppe von Höchstqualifizierten, die schon mit der Green Card geworben werden. Auch sie sollen besser gestellt werden: Entgegen der jetzigen Begrenzung bei der Green Card auf fünf Jahre will Schily ihnen – wie von der Wirtschaft angemahnt – unbeschränktes Aufenthaltsrecht ermöglichen. Auch können deren Kinder bis zum 18. Lebensjahr nachziehen. Darüber hinaus soll für den Bedarfsfall ein Punktesystem für besonders geeignete Zuwanderer geschaffen werden. Ein „zusätzliches optionales Steuerungsinstrument“ nennt Schily dieses Angebot, das insbesondere für die Menschen aus den EU-Beitrittsländern Polen, Ungarn und Tschechien gelten soll.

Die Zurückhaltung beim Thema Zuwanderung, die den Gesetzentwurf durchzieht, überrascht kaum. Ursprünglich war ein Zuwanderungsgesetz in dieser Legislaturperiode gar nicht vorgesehen. Im rot-grünen Koalitionsvertrag fand sich dazu kein Wort – auf Druck der SPD. Doch mit der vom Kanzler im Sommer letzten Jahres angeschobenen Green-Card-Regelung korrigierte auch Schily seinen Kurs. Noch im Oktober 1999 hatte er erklärt: Im „Moment können wir uns zusätzliche Zuwanderung nicht leisten“. „Zusätzlich“, das hieß aus Sicht Schilys: über die Zahl der Asylantragsteller und Flüchtlinge hinaus.

Schily bleibt sich treu

In seiner restriktiven Haltungblieb sich Schily jedoch treu. „Ein Recht auf Zuwanderung“, wie es sich manche wünschten, gebe es nicht, würde wohl auch nur ein „Beschäftigungsprogramm für Richter und Anwälte“ bedeuten, betonte er gestern noch einmal. Und: „Jede Steuerung“ von Zuwanderung sei „implizit eine Begrenzung“. Geschickt versuchte Schily schon im Sommer 2000 den öffentlichen Druck von sich zu nehmen, den von Anfang an Teile des linksliberalen Spektrums auf ihn ausübten.

Allzu oft fühlt Schily sich falsch gezeichnet, zum Hardliner abgestempelt. Er berief die Süssmuth-Kommission ein, ließ aber vorsorglich schon in seinem Hause erste Arbeiten an seinem Gesetzentwurf beginnen. Auch die Kirchen versuchte er in die Pflicht zu nehmen – mit dem subtilen Vorschlag des von ihnen mit zu finanzierenden Kirchenasyls. Deren Vertreter reagierten wenig erfreut, so die Darstellung Schilys in einem Interview mit der Zeit im Juli 2000: „Um Himmels willen, antworteten die, das würde uns ja in schreckliche Bedrängnis bringen.“

Das Stoßgebet von damals dürfte nicht nur den Kirchenvertretern an manchen Stellen des Gesetzestextes heute entfahren, sondern auch manchen Grünen. Claudia Roth kündigte bereits Widerstand gegen die Forderung an, das Nachzugsalter für Kinder auf 12 Jahre herabzusetzen. Am 26. September, nach Abstimmungen mit anderen Ressorts, Beratungen mit den Ländern und den Koalitionspartnern, soll der Entwurf bereits vom Kabinett beschlossen werden. Ende des Jahres könnte das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein, hofft Schily, wenn „sich alle kooperativ verhalten“. Danach sieht es derzeit aus. Claudia Roth, die Grünen-Vorsitzende, wiederholte den Wunsch nach einem „möglichst breiten Konsens“. Zuvor aber wird sie das Gesetzeswerk mitnehmen in „eine schöne Ecke in diesem Land, um dort auch das Kleingedruckte zu lesen“.