B‘russja? Muss ja!

Bei der 0:2-Niederlage der Berliner Hertha im Heimspiel gegen Borussia Dortmund zeigt sich, dass von berechtigten Meisterschaftshoffnungen beide Mannschaften noch weit entfernt sind

aus Berlin WIGLAF DROSTE

Der ältere Dortmunder Kollege auf der Pressebank hatte viel zu maulen: „Ricken kommt nicht von der Stelle“, schimpfte er. Wohl wahr: Lars Ricken hatte einen so schlechten Tag erwischt, dass man sich fragte, ob er einen besseren je wieder sehen wird. Seine Bewegungen wirkten wie aus Blei gegossen. Ricken war nicht der einzige Dortmunder, dem in der ersten halben Stunde im am Ende mit 2:0 gewonnenen Spiel bei Hertha BSC Berlin gar nichts gelang. Von Tomas Rosicky, den Dortmunder Anhänger mit dem Ausruf „Schnitzel, wir lieben dich!“ ehren, war nichts zu sehen, auch Amoroso war quasi abgemeldet, und Jan Koller wurde zwar häufig angespielt, meist per Abschlag von Torhüter Jens Lehmann, aber dann sprang der Ball davon und landete auch schon wieder beim Gegner.

Hertha BSC machte das besser, gewann die Zweikämpfe, nach 30 Minuten stand es nach Ecken 6:0 und Preetz hatte spektakulär gegen den Pfosten geköpft. Marcelinho zeigte ein paar mal, wie schnell und gefährlich er ist, und setzte mit Übersicht und feinster Technik seine Mitspieler in Szene. Dortmund, das mit ein oder zwei Toren hätte zurückliegen können, konnte sich zu diesem Zeitpunkt bei Berlins zweitem Brasilianer bedanken: Alex Alves spielte, als sei er allein da, kreiselte eitel und täppisch herum, vernatzte nicht seine Gegenspieler, sondern nur sich selbst, und zeigte, was der alte Spruch „Trick 17 mit Selbstüberlistung“ bedeutet. Der Mann mit der peinlichen Frisur zog sich den verständlichen Unmut der Hertha-Anhänger zu; es wurde ernsthaft in Zweifel gezogen, ob Alves überhaupt Brasilianer sei oder nicht doch eine grunddeutsche Fußballgurke.

Berlin schoss keine Tore, Marcelinho verzweifelte sichtlich, und plötzlich hatte Dortmund eine Großchance: Kiraly konnte einen Schuss von Amoroso zwar abwehren, aber den Ball nicht festhalten, doch Koller hob den Ball über das Berliner Tor. Gute Einfälle aber fehlten; wieder und wieder wurde der Ball auf den Kopf des hochgewachsenen Koller geflankt und von dessen Platte ins Nichts verlängert. Anders als in vielen Spielen der letzten Saison jedoch riss bei den Dortmundern der Faden nicht völlig; mit einem glücklichen 0:0 durften sie in die Pause wanken.

In der zweiten Halbzeit ging es mäßig weiter, Dortmund versäumte es weiterhin, Rosicky ins Spiel zu bringen. Der holte sich selbst den Ball und spielte einen zauberhaften Pass auf Amoroso, der zwei Herthanern weglief und das 1:0 schoss. Danach gab es weiter jede Menge Fehlpässe auf beiden Seiten, Ballweghauen war Trumpf, unter dem spöttischen Applaus der Berliner wurde Alves ausgewechselt, dafür durfte auf Dortmunder Seite Giuseppe Reina zeigen, dass auch er die Kunst beherrscht, seine Mitspieler zu ignorieren und autistisch vor sich hin zu ölen. Wenn er überrascht feststellte, dass noch andere auf dem Platz waren, gab er verärgert ab und spielte in Unkenntnis des tödlichen Passes lieber Pässe des Todes. Koller vergab eine weitere gute Chance per Kollerball, Evanilsons schöner Heber wurde noch von der Linie weggeschlagen, aber Miroslav Stevic, auch einer, der bevorzugt sich selbst wahrnimmt, gelang kurz vor Schluss ein Kontertor zum 2:0-Endstand. Die Dortmunder Fans riefen „B’russja! B’russja!“, was wie „muss ja, muss ja!“ klingt, und fügten im Zustand der Teilumnachtung ein dumpfes „Sieg! Sieg!“ hinzu, was im Berliner Olympiastadion immer ganz besonders wirksam ist; die totalrasierten Hakenkreuzzügler, von denen der Hertha-Anhang nicht wenige hat, blieben an diesem Tag dagegen still.

Die Bild-Zeitung, die im Stadion unter anderem mit der Drohung „Achtung Schiri, BILD passt auf“ wirbt, muss sich in Berlin etwas anderes einfallen lassen als den penetranten Versuch, Hertha BSC zur Meisterschaft zu schreiben. Der Hauptstadtboulevard sieht sich von einer Mannschaft düpiert, die es wagt, nicht so zu spielen, wie ehrgeizige, am Lokalpatriotismus krankende Zeitungsschmierer es gerne hätten. Ihr Dortmunder Kollege auf der Pressebank war ähnlich blindfischig: „müsste normalerweise 4:0 stehen!“, trompetete er dröhnend in sein Telefon. Er hatte ein eher schwaches Spiel und zwei Dortmunder Tore gesehen und war schon gaga geworden. Zum Glück für Dortmund hat Dortmund nicht nur Glück, sondern einen Trainer, zu dessen Talenten die Schönschwätzerei nicht gehört. „Unteriridisch“, so Matthias Sammer, sei das Spiel seines Teams in der ersten halben Stunde gewesen.

Hertha BSC: Kiraly - van Burik (80. Hartmann), Simunic, Konstantinidis - Rehmer, Beinlich, Goor (77. Neuendorf) - Deisler, Marcelinho - Preetz, Alves (77. Sverrisson) Bor. Dortmund: Lehmann - Evanilson, Wörns, Kohler, Heinrich - Reuter, Ricken (74. Reina), Stevic - Rosicky (89. Metzelder), Koller, Amoroso (77. Oliseh)Zuschauer: 55.000; Tore: 0:1 Amoroso (51.), 0:2 Stevic (86.)