Den Kanzler bitte umfahren

Weil Kanzler Schröder seine sichere Ruhe haben will, rollt der Autoverkehr im Spreebogen zukünftig direkt unter dem Dach des Paul-Löbe-Hauses vorbei. Das findet der Bundestag ziemlich blöd und will nun Verhandlungen über neue Verkehrsregelungen

von ROLF R. LAUTENSCHLÄGER

Verkehrslärm mag niemand: Der normale Bürger nicht, Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) nicht, der Kanzler an seinem Regierungssitz nicht und auch der Deutsche Bundestag sehnt sich nach Ruhe bei der Arbeit. Zum Streitpunkt zwischen dem Land Berlin und dem Kanzleramt auf der einen und dem Bundestag auf der anderen Seite hat jetzt die geplante Verkehrsführung im Spreebogen geführt.

Weil die Autos zukünftig direkt unter dem Vordach des fertig gestellten Paul-Löbe-Hauses gegenüber dem Kanzleramt vorbeirauschen sollen, schägt die Baukommission den Bundestages Alarm. Angesichts des rund 1.000 Mitarbeiter des Hauses, der aktuellen Besucherzahlen von 3 Millionen Personen jährlich und der stark genutzten Nord-Süd-Verbindung über den Spreebogen müsse dort nach anderen „pragmatischen Lösungen“ für den Autoverkehr gesucht werden, sagte Dietmar Kansy (CDU), Vorsitzender der Baukommission, zur taz. Dazu sollten Gespräche mit der Bauverwaltung geführt werden. Die Schließung der neuen Straße lehnte Kansy aber ab.

Nach Ansicht des CDU-Abgeordneten und anderer Mitglieder der Baukommission des Bundestages müsse nach der Sommerpause über die Strecke noch einmal beraten werden. Da der Tiergartentunnel noch nicht fertig sei, die Straße vor dem Kanzleramt aus Sicherheitsgründen gesperrt wurde und sich der derzeitige „örtliche und überörtliche Verkehr aus Moabit durch unsere Säulen quälen wird“, sei die Sorge berechtigt, dass sowohl die Parlamentarier als auch die Besucher im dortigen Besucherzentrum empfindlich gestört würden, so Kansy.

„Wir können keine Verkehrsströme dort brauchen“, betonte Kansy. Darum müsse mit dem Land verhandelt werden, wie etwa durch Ampeln oder andere verkehrsbehindernde Maßnahmen zukünftig der Verkehr dort „herausgehalten werden kann“.

Laut Baukommission und Bundestagspräsident Thierse haben sich die Bedingungen im Spreebogen seit dem Beschluss des Bebauungsplanes vor fünf Jahren verändert: War damals noch die Rede davon, dass der Verkehr zum Start der Regierungsarbeit in Berlin durch den Tunnel rollen sollte, so ist dieser bis dato noch nicht fertig gestellt, sondern erst 2004. Außerdem kommt auf das Areal mittelfristig der Verkehr vom neuen Lehrter Bahnhof zu. Schließlich war früher auch die Rede davon, die Willy-Brandt-Straße vor dem Kanzleramt als Durchquerung des Spreebogens zu erhalten.

Derzeit kurven in Spitzenzeiten täglich bis zu 45.000 Autos von Mitte aus durch den Spreebogen über die Moltke- und die Kronprinzenbrücke.

Sauer, so ein Mitarbeiter der Bundesbaugesellschaft Berlin (BBB), ist der Bundestag insbesondere auf das Bundeskanzleramt, das nach seiner Eröffnung im April die nahe Vorbeifahrt sperrte und aus Sicherheitsgründen nach Osten verlegte. Da gäbe es einen „echten Konflikt“, denn Kanzleramts-Staatssekretär Bury hatte gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt durchgesetzt, den Abstand zu Schröders Amtssitz zu vergrößern. Die Straßenverschiebungen kosteten den Steuerzahler über 3 Millionen Mark. Auch Kansy spricht von einer „Ungleichheit“ zwischen Bundestag und Kanzleramt. Es bestünde „Handlungsbedarf“, wie die Verkehrsführung zukünftig gestaltet und wie die Durchfahrt des Paul-Löbe-Hauses „erschwert“ werden könnte.

Weniger „hell entsetzt“ als der Bundestag ist die Berliner Bauverwaltung über die Slalomfahrt unter dem Paul-Löbe-Haus. Anneluise Schoen, Leiterin im Hauptstadtreferat, räumt ein, dass „Schleichverkehre“ und störende Autos nicht zu unterbinden seien. „Natürlich wollen auch wir, dass der Durchgangsverkehr dort herauskommt“, so Schoen. Es wäre aber klar gewesen, dass die Konrad-Adenauer-Straße direkt und als „öffentliche Straße“ vor dem Haus vorbeiführen würde – auch weil die Sicherheitsbestimmungen des Kanzleramtes einen verkehrsberuhigten Bereich verlangten.

Zugleich erhofft sich die Verwaltung, dass die „Belastungszahlen“ mit der Eröffnung des Tunnels 2004 „geringer werden“. Dann sei das Ziel erreicht, das Berlin immer anvisierte habe: nämlich den Verkehr aus dem Spreebogen herauszuhalten. Dass der Bundestag bis dahin warten will und das glaubt, ist schwer anzunehmen.