Traumland für die einen, Horror für die anderen

Der heutige US-Gesundheitsminister Thompson hat als Gouverneur von Wisconsin die Zahl der Sozialhilfeempfänger um 90 Prozent gesenkt

NEW YORK taz ■ Robin Edwards ist Pförtnerin in einer Schule in Milwaukee, der Hauptstadt Wisconsins. Die schüchterne Achtunddreißigjährige ist dazu verdonnert worden, gemeinnützige Arbeit zu leisten – vorausgesetzt, sie will weiter ihren Sozialhilfescheck von 673 Dollar im Monat bekommen. Doch mit dem Geld ist es ohnehin bald vorbei: In Wisconsin bekommt niemand Sozialhilfe für mehr als zwei Jahre während des ganzen Lebens.

Der Fall Wisconsin spaltet die amerikanischen Sozialpolitiker. Die einen staunen voller Ehrfurcht über die Leistung des ehemaligen Gouverneurs von Wisconsin und jetzigen Gesundheitsministers unter Bush, Tommy Thompson. Der hat, nachdem er 1987 an die Spitze der Bundesstaatsregierung gewählt worden war, die Zahl der Sozialhilfeempfänger in Wisconsin um inzwischen rund 90 Prozent gesenkt. Nur noch 7.300 Familien erhalten derzeit Schecks vom Staat. Damit war Wisconsin Vorbild für die große Sozialhilfereform, die 1996 auf Bundesebene verabschiedet wurde. Das Motto: „Welfare-to-Work“, zu deutsch: von der Sozialhilfe zur Arbeit.

Für die anderen ist das, was da passiert ist, ein Schreckensszenario. Was geschieht mit Frauen wie Edwards, wenn ihre Zweijahresfrist abläuft? Die Sozialarbeiter kümmern sich zwar intensiv um sie, aber außer für ein paar Stunden hier und da hat sie noch nie einen Job halten können. Wer jetzt, nach so vielen Jahren Welfare-to-Work-Programm und nach einem lang anhaltenden Wirtschaftsboom, immer noch keine Arbeit gefunden hat – der ist schließlich nicht gerade leicht zu vermitteln. Und der Wirtschaftsboom ist mittlerweile zu Ende gegangen.

Wenigstens kann Edwards bei ihrer Mutter einziehen. Was mit anderen ehemaligen Sozialhilfeempfängern passiert, weiß keiner so genau, weil darüber keine Statistik geführt wird. Schätzungen auf Bundesebene besagen, dass 40 Prozent der ehemaligen Sozialhilfeempfänger nicht berufstätig sind.

Wisconsin hat schrittweise die Abhängigkeit vieler Bürger von der Sozialhilfe reduziert. Ab 1987 konnte in Wisconsin nur noch Sozialhilfe bekommen, wer bestimmte Regeln einhielt: wer zum Beispiel dafür sorgte, dass die Kinder nicht ständig die Schule schwänzen, und wer regelmäßig zur Arbeitsberatung erschien. 1996 wurde der Zwang zu gemeinnütziger Arbeit eingeführt. Für jede Stunde, die ein Sozialhilfeempfänger nicht zur Arbeit antritt, setzt es prozentual entsprechende Abzüge.

Zugleich wurde die Betreuung durch die Sozialämter dramatisch verbessert. Sozialhilfeempfänger werden unterstützt bei der Suche nach Kinderbetreuungsplätzen. Sie erhalten Bewerbungstraining – und nötigenfalls arrangieren die Betreuer auch Bewerbungsgespräche. Druck wird auch auf die Sozialämter ausgeübt. Sie müssen sich jetzt um die zu verteilenden Gelder bemühen: Wer mehr Sozialhilfeempfänger auf Stellen oder wenigstens gemeinnützige Arbeit vermittelt, erhält mehr Geld.

Viele Sozialhilfeempfänger schafften dank der Unterstützung tatsächlich den Schritt in den Arbeitsmarkt. Aber schon kurz nach Verabschiedung der Sozialhilfereform 1996 zeigte eine Studie der Universität von Milwaukee, dass nur eine von sechs Familien mit dem Ausstieg aus der Sozialhilfe auch den Sprung über die Armutsgrenze geschafft hatte. Die Jahresgehälter der früheren Sozialhilfeempfänger bewegen sich immer noch um die Armutslinie herum bei 13.880 Dollar. NICOLA LIEBERT