Eltern enttäuscht von rot-grüner Hilfe

Angehörige von Demonstranten, die in Genua verletzt wurden, fordern Druck auf Rom. Gegner selbstkritisch

BERLIN taz ■ Bodo Zeuner, Professor an der Freien Universität Berlin, war fassungslos, als er hörte, dass der Bundesinnenminister Otto Schily mit seinem italienischen Amtskollegen Claudio Scajola nichts anderes zu besprechen hatte als die Einrichtung einer internationalen Anti-Krawall-Polizei.

An Otto Schily, Joschka Fischer und andere Politiker hat Zeuner nun gemeinsam mit anderen Eltern einen Brief geschrieben. Ihre Töchter und Söhne waren bei der Durchsuchung der Armando-Diaz-Schule in Genua durch Polizisten schwer misshandelt und dann verhaftet worden. In dem Schreiben werden die Adressaten dazu augefordert, „alles in ihrer Macht Stehende zu tun“, um das in Italien geschehene Unrecht aufzuklären.

„Für uns bedeutet es das Ende des Rechtsstaates und der Demokratie in Italien und Europa, wenn gegen Menschen, die anders als die Regierenden denken, im Namen oder im Auftrag des Staates ungestraft Terror ausgeübt werden kann“, heißt es in dem Schreiben. Die Eltern beklagen auch, dass ihre Rechte als Familienangehörige der Inhaftierten „grob verletzt“ worden seien. So habe die Mutter des schwer verletzten Daniel Albrecht erst nach zwei Tagen Zugang zu ihrem Sohn bekommen. Hannelore Kutschkau, Mutter von Anna Kutschkau, habe ihre Tochter lange vergeblich in einem Krankenhaus gesucht. Schließlich habe ihr die Polizei mittgeteilt, dass ihre Tochter in das Gefängnis von Bolzaneto gebracht worden sei.

Reaktionen hat Bodo Zeuner auf den Brief, der Ende vergangener Woche die Adressaten erreicht haben muss, noch nicht erhalten. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte zur taz, der Außenminister habe bei seinem italienischen Amtskollegen Renato Ruggiero telefonisch um Aufklärung gebeten. Das müsse vorerst reichen. Nun gehe das Ministerium davon aus, dass die italienische Justiz die Vorgänge in der Diaz-Schule und in der Polizeikaserne von Bolzaneto schonungslos aufkläre.

Hannelore Kutschkau berichtete der taz, sie versuche derzeit, sich auch mit anderen betroffenen Eltern, die sie vor dem Gefängnis in Genua kennen gelernt habe, zusammenzuschließen. Sie plant unter anderem, Schadensersatzklage gegen die italienische Polizei zu erheben. Ihrer Tochter sind von den Carabinieri mehrere Zähne ausgeschlagen worden. Den aus italienischer Haft entlassenen und nach Deutschland zurückgekehrten Jugendlichen gehe es körperlich wieder relativ gut. „Sie schlafen viel“, so Kutschkau. Das sei nach dem Stress, den sie durchlitten hätten, auch kein Wunder. Welche psychischen Folgen die Erlebnisse von Genua zurückließen, werde sich noch zeigen.

Für die 21 immer noch in italienischer Untersuchungshaft sitzenden Deutschen fand am Montagabend eine Solidaritätsveranstaltung in der Berliner Humboldt-Universität statt, zu der die Tageszeitung Junge Welt eingeladen hatte. Mehrere hundert Teilnehmer diskutierten dabei auch über gewalttätige Demonstranten. Von diesen habe sich das Genua Social Forum, italienischer Organisator der Gipfelproteste, zwar nicht ausdrücklich distanziert. Trotzdem müsse sich die Bewegung erneut über Aktionsformen einigen, forderten mehrere Teilnehmerinnen der Veranstaltung. Eine Frau, die den Gegengipfel mit der Kamera begleitet hatte, beklagte, sie habe zeitweise nicht mehr gewusst, wer zur Polizei und wer zu den Gipfelgegnern gehört habe.

Im Anschluss an die Veranstaltung wurde eine Solidaritätsadresse an die inhaftierten Gipfelgegner verfasst. Italienische Justizkreise signalisierten gestern, dass die Chancen auf Freilassung der meisten der Gefangenen gut seien. Heute stehen 15 weitere Haftprüfungen an.

STEPHANIE VON OPPEN