Auf der Suche nach dem Täter

Ob rechtes oder linkes Lager, jeder scheint genau zu wissen, wer schuld ist an der wachsenden Arbeitslosigkeit. Doch so einfach ist das gar nicht

von HEIDE OESTREICH

3,864 Millionen. Das ist keine schöne Zahl. Gewiss, der Juli ist ein schwacher Monat für den Arbeitsmarkt. Doch Monat für Monat, so rechnet das Statistische Bundesamt vor, sinkt die Zahl derer, die noch erwerbstätig sind. Die Union prognostiziert bereits die „Arbeitsmarktkatastrophe“, die Schuldzuweisungen überschlagen sich. Wir entlarven die beliebtesten Bösewichte:

Bösewicht Nr 1: Die Konjunktur. Von allen unbestritten und nun auch von der Bundesanstalt für Arbeit angeführt ist sie die größte Arbeitsplatzvernichterin von allen. Wie sie zu beeinflussen sei, bestimmt einen alten und ehrwürdigen Streit in der wirtschaftspolitischen Diskussion: Wirtschaftsliberale fordern Steuersenkungen und weniger Lohnkosten für Unternehmen, Gewerkschafter und Nachfragetheoretiker fragen, wer denn die Binnennachfrage ankurbeln soll, wenn Beschäftigte auf Lohn verzichten. Letztere werden in letzter Zeit etwas weicher, Lohnverzicht in Absprache mit den Gewerkschaften ist in Einzelfällen denkbar, sagte DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer gestern.

Bösewicht Nr. 2: Die Arbeitslosen selbst. Wenn man es nur oft genug wiederholt, glauben es schließlich die Leute. Die seltene Spezies der arbeitsscheuen Hängemattenbewohner wird immer dann ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt, wenn der Arbeitsmarktpolitik nichts mehr einfällt. Der größte Teil der Arbeitslosen wartet gerade auf eine Qualifizierungsmaßnahme oder sucht einen neuen Job. Die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt ist sehr groß: Nur knapp 700.000 Menschen waren etwa letzten September länger als 2 Jahre arbeitslos. Dazu muss man bedenken, dass von den 2,7 Millionen SozialhilfebezieherInnen unter den Arbeitslosen nach Schätzungen des Deutschen Städtetags nur etwa 500.000 und 700.000 überhaupt arbeitsfähig sind. Der Rest: zu jung, zu krank, zu alt. Um die wenigen Personen, die arbeitsfähig sind und nicht aktiv einen Job suchen, in Lohn und Brot zu zwingen, kürzen die Arbeitsämter immer konsequenter die Stütze: Gegen 30.500 Arbeitslose verhängten die westdeutschen Arbeitsämter seit Januar eine dreimonatige Sperrzeit, weil sie angebotene Jobs nicht annahmen. Die Sperren für Jobverweigerer nahmen so um 15 Prozent zu.

Bösewicht Nr. 3: Von der Opposition und den Arbeitgeberverbänden immer gern ins Feld geführt: die altbackene Arbeitsmarktpolitik. Zahlen über sinnlose Projekte, die Arbeitslose allenfalls zu einer ABM-Karriere verhelfen, werden allerdings immer prompt von der Gegenseite gekontert: Im Osten gibt es keine Alternativen zu ABM. Die Region ist strukturschwach, und wo keine Firmen, da kein Arbeitsmarkt, in den man Arbeitslose integrieren könnte. Da hilft auch der schönste Niedriglohn nicht weiter. AB-Maßnahmen werden zudem schon seit Jahren zurückgefahren: Arbeiteten 1992 im Osten noch 388.000 Menschen auf ABM-Basis, waren es 2000 nur noch 145.000.

Bösewicht Nr. 4: Das Arbeitsamt.

Es kümmere sich um die Arbeitslosen zu spät. Erst wenn die Firma pleite ist, wundert sich das Arbeitsamt, dass so viele Arbeitslose auftauchen und es keine Stellenangebote hat. Dann vergehen Monate, bis die Mechanik der Arbeitsvermittlung greift. Dagegen scheint die US-Methode der Arbeitsvermittlung, die die CDU jetzt aufgriff, geradezu vor Dynamik zu leuchten. Doch verweist Arbeitsminister Walter Riester zu Recht darauf, dass er viele dieser Elemente in sein neues „Job-Aqtiv“-Gesetz, das im Herbst verabschiedet werden soll aufgenommen hat. Der in den USA eingesetzte „Coach“ ist hier der Vermittler, der mit dem Klienten einen „Eingliederungsvertrag“ schließt. Wer nicht mitmacht, kriegt weniger Stütze.

Bösewicht Nr 5: Der Lohnabstand stimmt nicht. Von den Arbeitgebern gern hervorgehoben. Ihr einfaches Argument: Wer zu viel Stütze kriegt, geht nicht für dasselbe Geld arbeiten. Tatsächlich landet eine Familie mit zwei Kindern bei knapp 3.000 Mark Unterstützung, so manches Einstiegsgehalt liegt darunter. Doch mauern nicht nur die Gewerkschaften bei Niedriglöhnen. Schon jetzt bieten Unternehmen in den unteren Lohngruppen kaum Arbeitsplätze an, nicht einmal 1 Prozent der Arbeitsplätze liegen in diesem Bereich.

Bösewicht Nr 6: Die Unternehmen, die die Arbeit falsch verteilen, sind schuld. Die Vier-Tage-Woche und Überstundenabbau, das fordern die Gewerkschaften alle Jahre wieder, ab und zu unterstützt von der SPD-Linken. Das Beispiel VW funktioniert allerdings nur, wenn auch für vier Tage ein Lohn gezahlt wird, von dem eine Familie leben kann.

Warum nicht die 1,9 Milliarden Überstunden abbauen, die laut DGB jährlich anfallen? 700.000 Stellen könnten geschaffen werden, behaupten die Gewerkschaften. Doch die meisten Überstunden, so stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fest, werden von den sehr gut qualifizierten Fachkräften geleistet. Und Facharbeiter gibt es heute schon zu wenig.