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Das Massensterben der Delphine

10.000 Schweinswale verenden jedes Jahr in Netzen in Nord- und Ostsee. WWF fordert neue Fischereipolitik  ■ Von Sven-Michael Veit

7500 Leichen sinken auf den Grund der Nordsee. Jahr für Jahr. Mindestens. Leichen von Schweinswalen, die in den Stellnetzen der dänischen Fangflotte ertrunken sind. Aufgrund intensiver Beobachtungen sei das, sagt Chris-tian von Dorrien, „eine relativ verlässliche Zahl“. Unbekannt ist hingegen, wie viele Tiere den Deutschen, Briten und Schweden in die Netze gehen, unbekannt sind die Zahlen aus der Ostsee, aus dem Kattegat und dem Skagerrak. Die Dunkelziffer, befürchtet der Fischereiexperte des World Wide Fund for Nature (WWF), liege „um etwa 30 Prozent höher“.

Etwa 10.000 also der zu den Delphinen gehörenden Schweinswale fallen, obwohl sie nach mehreren internationalen Übereinkommen geschützt sind, jährlich der indus-triellen Fischerei vor der deutschen und der dänischen Küste zum Opfer. Rund 10.000 Kilometer lang sind allein die Nylonnetze, welche die dänischen Fischer auf den Meeresgrund stellen. „Diese riesigen Gardinen“, wie Dorriens Kollegin Heike Vesper sie nennt, sind eine tödliche Falle für die einzigen heimischen Wale. Die Netze können sie mit ihrem Sonarsystem nicht orten, umso besser aber die darin zappelnden Heringe, Kabeljaus oder Schollen – sie verheddern sich in den Maschen und ertrinken nach minutenlangem Todeskampf.

Als unerwünschter „Beifang“, der wieder ins Meer zurückgeworfen wird, zahlen die kleinsten aller Wale somit den höchsten Preis für Matjes und Fischstäbchen. Das Massensterben der „Kleinen Tümmler“, wie sie auch genannt werden, „ist artbedrohend hoch“, weiß Meeresbiologe von Dorrien: „Es besteht die Gefahr, dass die Schweinswale aussterben.“

170.000 der kaum mehr als eineinhalb Meter großen Delphine wurden 1994, dies die letzte verlässliche Zählung, in der östlichen Nordsee gezählt, in der Ostsee waren es nur noch 600. Wie viele heute noch leben, weiß niemand, auf jeden Fall aber, fürchtet der Walexperte, „deutlich weniger“.

Und deshalb hat der WWF ges-tern eine Kampagne zur Rettung der Meeressäuger gestartet. Ziel ist es, sagt Georg Schwede, Geschäftsführer des WWF-Deutschland, auf der Nordseeschutzkonferenz im März nächsten Jahres konkrete Maßnahmen zur Rettung der Kleinwale zu erreichen. Er erwarte von den grünen BundesministerInnen Renate Künast und Jürgen Trittin, zuständig für Fischerei und Umweltschutz, „massiven Druck auszuüben“ auf die Nordsee-Anrainerstaaten: „Eine Fischerei- und Umweltpolitik, die das massenhafte Töten von Walen vor der eigenen Küste in Kauf nimmt, ist unverantwortlich“, stellt Schwede klar. Vordringlich seien die Änderung der Fischereimethoden, die generelle Reduzierung der Nordseefischerei und weitere Schutzgebiete.

Letzteres allein, das zeigt die Erfahrung aus Schleswig-Holstein, reicht allerdings auch nicht. Vor den nordfriesischen Inseln Sylt und Amrum, der Kinderstube der Schweinswale, richtete die rot-grüne Landesregierung bei der Novellierung des Nationalparkgesetzes vor eineinhalb Jahren ein spezielles Wal-Schutzgebiet ein. Nach einer Verordnung des Kieler Fischereiministeriums jedoch ist in Teilen dieses Gebietes das Fischen erlaubt. Die Folgen: In den Seekarten ist die Schutzzone noch immer nicht verzeichnet, und kein Kutterkapitän weiß genau, wo er seine Netze nicht mehr auswerfen darf.

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