Doppelt hält besser

Das Filmfest „Bollywood in Berlin“ zeigt im Arsenal die jüngsten Megahits der indischen Traumfabrik: Mit Action, Herzklopfen, tiefem Leid und schmachtender Musik – und grandiosen Massentanzszenen

von DOROTHEE WENNER

Bollywoodfilme sind wie exotische Süßigkeiten mit hohem Suchtfaktor. Ist man erst mal auf den Geschmack gekommen, drohen schlimme Entzugserscheinungen, wenn es Nachschubprobleme gibt – was hierzulande immer noch häufig vorkommt. Der August jedoch bietet Berliner Bollywood-Junkies traumhafte Aussichten: das Hebbel-Theater präsentiert zum „Tanz im August“ Michael Laubs „Total-Masala-Slammer“ – eine nach indischem Kinovorbild konzipierte Theatersoap. Begleitend dazu zeigt das Arsenal-Kino eine exquisite Auswahl der buntesten und beliebtesten Kinohits, hauptsächlich aus den 90ern. Mit all den Songs, die in Bombay tagtäglich aus schrapeligen Kassettenrekordern dröhnen. Und ein Staraufgebot, das die Herzen der indischen Fangemeinde höher schlagen lassen wird!

Im indischen Kommerzkino spielt die Filmhandlung eine eher untergeordnete Rolle, da eigentlich immer nur drei, vier Geschichten in Variationen und mit garantiertem Happy-End erzählt werden. Dieser weitgehende Verzicht auf narrative Überraschungen ist tatsächlich etwas gewöhnungsbedürftig, deswegen eignen sich die Filme von Mani Ratnam vielleicht am ehesten zum Einstieg in diese fremde cinematografische Welt. Ratnam nämlich versucht als einer der wenigen kommerziell erfolgreichen Regisseure des Subkontinents, den so genannten Formularfilm mit politisch oder gesellschaftlich relevanten Sujets zu kombinieren. In „Dil se“ zum Beispiel geht es um einen Reporter, der sich anlässlich des 50. Jahrestages in den bürgerkriegsgeplagten Norden aufmacht. Dort verliebt sich der Held in eine schöne junge Frau, die jedoch zu den Aufständischen gehört und eine politische Mission hat.

Aber wie gesagt: mit der Zusammenfassung des Plots wird man diesem Film nicht gerecht, denn über den Erfolg im indischen Kino entscheidet – neben der obligatorischen Starbesetzung – in erster Linie die Qualität der Song-&-Dance-Szenen. Und da hat „Dil se“ mit einer grandiosen Massentanzszene auf dem Dach eines fahrenden Zuges sowie mit einer rund um eine Elefantenherde choreografierten Balletteinlage Spektakuläres zu bieten.

Auch in Ratnams 1995er Erfolgsfilm „Bombay“ geht es um Bürgerkrieg: die Liebesgeschichte zwischen einer Muslimin und einem Hindu spielt vor dem Hintergrund der dramatischen Straßenschlachten, die 1993 die westindische Hafenstadt erschütterten. Das Paar flieht in diesem Film aus der Enge des Heimatdorfs in die tolerante Großstadt, und bald kommt ein Zwillingspaar zur Welt. Als die Söhne gerade sechs Jahre alt sind und zu lebenden Beweise religiöser Toleranz heranwachsen, geraten sie in die von extremistischen Propagandisten angezettelten Straßenschlachten und werden von ihren Eltern getrennt. Nach viel Action, Herzklopfen, tiefem Schmerz und schmachtender Musik aber fällt sich die Familie am Ende wieder vereint in die Arme.

Zwillingsgeschichten sind im indischen Kino äußerst populär: zumeist werden zwei Schwestern durch mysteriöse Umstände im zarten Kindesalter zu Beginn des Films getrennt, dann kommt der Vorspann, und schwups, sind die beiden Mädchen im heiratsfähigen Alter, wenn wundersame Zufälle sie wieder zusammenbringen. In diesen Zwillingsfilmen ist die eine Schwester stets arm, die andere reich, bzw. die eine gut, die andere verlottert, und dadurch zetteln beide allenthalben herrliche Verwirrspiele an. Zwillingsgeschichten sind für Stars wie etwa die pummelige Hema Malini absolute Traumrollen, weil es für indische Schauspielerinnen andernfalls extrem schwierig ist, sich vom Image der guten zukünftigen Ehefrau bzw. von der Festlegung auf männerverschlingende Vamps zu lösen.

Die Berliner Bollywood-Reihe gibt Gelegenheit, einen Zwillingsfilm in der poppigen Siebzigerjahre-Version „Seeta Aur Geeta“ mit prächtiger Discomode und wilden Schlägereien anzusehen. Oder aber man schaut sich die legendäre Sridevi in der „Chaalbaaz“- Doppelrolle als kultivierte Anju an, die eine Bier trinkende Schwester namens Manju hat.

Mit „Taal“ von Subhash Gai kommt endlich auch der indische Megahit von 1999 nach Berlin. Dieser Film schaffte es dank seiner opulenten Ausstattung und ausufernden Operettenhaftigkeit sogar in Großbritannien und den USA über mehrere Wochen bis in die Top 20 der nationalen Kinocharts. Dieser Erfolg sorgte in Hollywood, wo man – genau wie bei uns – die weltweit größte Filmindustrie komplett ignoriert, für eine echte Überraschung. Die indische Presse hingegen bemängelte in diesem Film, er sei „nur unterhaltsam, aber wenig kreativ“. Dennoch wurde „Taal“ zum Publikumsrenner, denn die Hauptdarstellerin Aishwarya Rai war kurz zuvor zur „Miss World“ gekürt worden und ließ ihre Fans wie etwa den Kritiker Anish Khanna delirieren: „Ghai und sein Kameramann verstehen mit Aishwaryas Schönheit Bilder von geradezu betörender Pracht heraufzubeschwören, die die Leinwand zu zerbersten drohen.“ Man wird sehen, ob das Arsenal-Kino diesem sommerlichen Ansturm von Liebe, Leidenschaft und Schönheit à la Bollywood standhalten kann.

Die Bollywood-Reihe eröffnet mit „Baaziger“ von Abas-Mustan am 9.8., 19 Uhr. „Seeta Aur Geeta“, 13.8., 19 Uhr. Weitere Termine erfragen unter: 26955-100; www.fdk-berlin.de