Erotik und Konkurrenz

„Resistent gegenüber emanzipatorischen Ideen“: Eine weitere Anthologie über Künstlerpaare im 20. Jahrhundert stellt fest, dass sich Künstlerinnen lange Zeit den Karrieren ihrer Künstler-Männer fügten

Fragile Balanceakte zwischen gegenseitiger Anregung, künstlerischer Kapitulation und Selbstbehauptung

von URSULA TRÜPER

In der einen Hand den Pinsel, in der anderen die Palette, das Hemd offen, im Gesicht einen verwegenen Ausdruck. So porträtiert der Künstler sich selbst – ein genialischer Kraftkerl. An ihn gelehnt, mit dem Rücken zum Betrachter, eine nackte Frau. Niemand würde vermuten, dass es sich bei Lovis Corinths „Selbstportrait mit Rückenakt“ von 1903 um die Darstellung zweier Künstler handelt. Doch genau das ist der Fall: Die Dargestellte, Charlotte Berend, ist nicht nur die Ehefrau des Künstlers, sie ist auch seine Kollegin. Bald nach der Eheschließung legt sie allerdings den Pinsel zur Seite. Zu ausgefüllt ist ihr Tag mit der psychischen und physischen Versorgung des Meisters und später auch der gemeinsamen Kinder. Nach seinem Tod kümmert sie sich um seinen Nachlass.

Kunstgeschichte ist immer auch Sozialgeschichte. Die Bedingungen, unter denen Kunst entsteht, sind im Großen und Ganzen die gleichen, unter denen überhaupt in einer Gesellschaft produziert wird. Sie ändern sich im Verlauf der Geschichte und sind für Männer und für Frauen höchst unterschiedlich. Hier setzt die Berliner Kunsthistorikerin Renate Berger an. In dem von ihr herausgegebenen Buch über Künstlerpaare „Liebe macht Kunst“ untersuchen mehrere Autorinnen die Arbeits- und Beziehungsmuster von Künstlern und Künstlerinnen im 20. Jahrhundert.

Der Beginn des 20. Jahrhunderts markiert da offensichtlich einen absoluten Tiefpunkt. Künstlerisches Genie galt als exklusiv „männliche Fähigkeit“. Die Rolle der Frau in diesem Weltbild war die der – mehr oder auch weniger sublim erotisch – stimulierenden Muse. Frauen, die sich als gleichberechtigte Kolleginnen in diesem System behaupten wollten, galten als „unweiblich“. Spätestens wenn sie sich in einen Mann verliebten, so die allgemeine Erwartung, sollten sie zu ihrer natürlichen weiblichen Bestimmung zurückkehren, nämlich der Sorge für Mann und Kind. Dies galt insbesondere, wenn der Mann ein Künstler war.

Nach dem Ersten Weltkrieg ließ sich diese Rollenverteilung nicht mehr aufrechterhalten. In einigen Staaten Europas wurde Frauen das Wahlrecht zugestanden und sogar Zugang zu den bislang eifersüchtig verteidigten Reservaten der Männergenialität, den Kunstakademien, gewährt. Künstlerpaare wie Hannah Höch und Raoul Hausmann, Hanna Nagel und Hans Fischer, Dora Maar bzw. Françoise Gilot und Pablo Picasso, Leonora Carrington und Max Ernst, Varvara Stepanova und Aleksandr Rodschenko, Lucia Moholy und László Moholy-Nagy, um nur einige zu nennen, versuchten, nicht nur eine Lebens-, sondern auch eine Arbeitsgemeinschaft zu bilden. Es entstanden fruchtbare, aber auch äußerst spannungsreiche Beziehungen, fragile Balanceakte zwischen gegenseitiger Anregung, künstlerischer Kapitulation und Selbstbehauptung, Erotik und Konkurrenz.

Bekanntestes Beispiel sind wohl die beiden Dada-Künstler Hannah Höch und Raoul Hausmann. Sie bildeten zeitweilig ein Paar und entwickelten gemeinsam die berühmte Dada-Technik der Fotocollage. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit Mord- und Selbstmorddrohungen verließ Hannah Höch jedoch schließlich fluchtartig ihren Kollegen und Lebensgefährten.

Gegen Ende des 20. Jahrhundert öffnet sich das Paarmodell, bis hin zu Zwillingsmodellen. So nennt sich ein Berliner Künstlerpaar „(e). Twin Gabriel“ und bildet eine Produktionseinheit. Nicht mehr das jeweils Komplementäre der beteiligten Künstler wird hier betont, sondern das Gemeinsame. Damit wird zwar die Konkurrenz vermieden – aber möglicherweise auch die erotische Spannung, die in ihre Produktion eingehen könnte.

Offensichtlich ging es auch anders, sogar schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit den Physikern Marie und Pierre Curie, den Ethnologen Margret Mead und Gregory Bateson, den Schriftstellern Simone und André Schwartz-Bart werden Paare gezeigt, die gerade ihre komplementären Fähigkeiten fruchtbar machen, ohne dass einer zugunsten des anderen kapituliert. Der berühmte Synergie-Effekt. Freilich, so Berger, sei es kein Zufall, dass es sich bei diesen Paaren um Wissenschaftler und Schriftsteller handelt, „in den Künsten finden wir selten Vergleichbares, man hat sogar den Eindruck, als seien Künstlerpaare besonders resistent gegenüber emanzipatorischen oder auch nur liberalen Ideen.“

Renate Berger (Hg.): „Liebe macht Kunst. Künstlerpaare im 20. Jahrhundert“. Böhlau-Verlag Köln Weimar Wien 2000, 455. S., 68 DM