„Keine ideologischen Diskussionen“

Wolfgang Mertens, Mitarbeiter der Hilfsinitiative Friedensdorf Oberhausen, zur Arbeit in Afghanistan

taz: Herr Mertens, befürchten Sie nach der Verhaftung von deutschen Mitarbeitern von Shelter Now International, dass auch Ihre Arbeit in Kabul erschwert wird?

Wolfgang Mertens: Keineswegs. Neben uns gibt es noch andere europäische und deutsche Hilfsorganisationen, die seit langem in Kabul arbeiten und von den Taliban respektiert werden. Es könnte sein, dass die Christusbrüder, die seit vielen Jahren in Kabul sind, Schwierigkeiten bekommen. Allerdings glaube ich das nicht, da sie etabliert sind und fantastische humanitäre Arbeit leisten.

Außerdem gibt es einen Orden christlicher Schwestern, die ebenfalls seit vielen Jahren in Afghanistan arbeiten, aber auch deren Ruf ist gut – auch unter den Taliban.

Haben Sie eine Erklärung für das Verhalten der Taliban gegenüber Shelter Now International?

Was da mit Shelter Now International passiert ist, kann ich nicht kommentieren. Ich kann nur sagen, dass das Friedensdorf derzeit ein Team in Kabul hat. Am 15. August werden zirka hundert verletzte Kinder in Düsseldorf landen.

Nur Jungs?

Nein, auch Mädchen. Wir engagieren uns seit 1989 in Afghanistan, und das Zahlenverhältnis von Mädchen und Jungs, die von uns betreut werden, hat sich seit der Herrschaft der Taliban nur geringfügig verändert.

Angesichts des Frauenbilds der Taliban ist das überraschend.

Wenn man in dem vermeintlich unpolitischen Bereich der medizinischen Hilfe für Kinder arbeitet, dann gibt es keine ideologische Diskussionen. Auch die Taliban haben Interesse daran, dass ihren Kindern geholfen wird.

Haben Sie mit Rücksicht auf die Moral der Taliban eine besondere Sorgfaltspflicht gegenüber den Kindern?

Ja, absolut. Aber deshalb reden wir den Taliban keineswegs nach dem Mund. Wir schließen mit den Eltern einen Vertrag ab, in dem steht, dass die Kinder so schnell wie möglich wieder zu ihnen zurückkehren können.

Was bedeutet das? Was müssen Sie bei der Behandlung der Kinder berücksichtigen?

Grundsätzlich müssen wir alles vermeiden, was die Kinder in Schwierigkeiten bringen könnte, wenn sie zurückkehren. Deshalb tragen die afghanischen Mädchen in unseren Einrichtungen ab einem bestimmten Alter Kopftücher, die Jungen die Gebetskappen. Auch das therapeutische Schwimmen findet nach Geschlechtern getrennt statt. Darüber hinaus müssen wir das Film- und Fotografierverbot absolut beachten. Für eine Einrichtung wie das Friedensdorf, die auf Spenden und deshalb auf Öffentlichkeitsarbeit angewiesen ist, bedeutet das eine massive Einschränkung.

Wie reagieren Sie, wenn ein Kind plötzlich sein Interesse für das Christentum entdeckt?

Dann wären wir in der Bredouille. Es ist nicht unsere Aufgabe, dieses Interesse zu pushen.

Wie lang bleiben die Kinder in Deutschland?

Die Mehrzahl zwischen drei und sechs Monate. Bei schweren Verletzungen und entsprechender Behandlung kann der Aufenthalt allerdings bis zu vier Jahre dauern. INTERVIEW: EBERHARD SEIDEL