„GQ“ mit mehr Titten

Wie eine 24-Jährige ein Erotikblatt umkrempeln wollte. Eine Geschichte über moderne Mädchen und Pornomagazine in Zeiten des Neo-Machismus

aus HallbergmoosTOBIAS MOORSTEDT

Eine Studentin betritt am Morgen die Redaktionsräume eines Erotikmagazins und verlässt sie am Abend als Chefredakteurin. So etwas ist selten in dem Geschäft, in dem man sonst vor allem die richtigen Leute kennen muss. Erst recht, wenn eine Frau im Spiel ist. Susanne Dinklage, 24 und Studentin der Journalistik an der Universität München, sollte an diesem Tag beim Erotikmagazin Hustler eigentlich nur eine kurze Blattkritik halten. Oder besser: Den Machern ein paar Denkanstöße geben, wie sie ihr kriselndes Produkt wieder in Fahrt bringen könnten.

Der Hustler hatte seit der Markteinführung in Deutschland 1988 gehörig Schlagseite bekommen. Mit billigen Bildern und billigen Sprüchen sank die Verkaufsauflage auf elf- bis zwölftausend Exemplare pro Ausgabe. Und am Ende hatte das Blatt weniger Abonnenten als der Monat Tage zählt.

Es hätte also eine Art modernes Märchen werden können, von der blonden Studentin und dem schmutzigen Erotikblatt. Der Anfang war viel versprechend: Susanne Dinklage zeriss das Blatt mit Vehemenz, sprach von fehlender Qualität und davon, dass sie ihren Namen nie, aber auch nie, in dieses Heft setzen würde. Der Geschäftsführer des Verlages, entnervt von der langen Talfahrt, war begeistert von so viel jugendlicher Tatkraft. Er gab Dinklage den Auftrag, ein „neues freches Männermagazin“ zu produzieren.

Halbseiden ist es in den gläsernen Geschäftsräumen des Magazins in Hallbergmoos, zwanzig Kilometer vor München, schon lange nicht mehr. Nackte Brüste sind Alltag und damit langweilig, seit man sie auch um zwei Uhr nachmittags im Fernsehen sehen kann und sogar „Titten“ sagen darf. Respektive schreiben. Susanne Dinklage wusste das. Um neue Leser zu gewinnen, sollte es darum „nicht nur um den puren Sex gehen, sondern um sämtliche Themen die damit in Zusammenhang stehen“. Eine Reportage über Menschen, die sich beim Sex als Pferde verkleiden, das könne sie sich vorstellen. Oder über Frauen, die in der Fabrik am Fließband Dildos herstellen. Und weil sie dazu noch über Lifestyle und Technik berichten wollte, hätte das wohl etwa ausgesehen wie GQ, mit noch mehr „Titten“ natürlich. „Wer viel wagt, kann viel gewinnen“, sagte Dinklage, und plante eine Auflage von „nicht unter 150.000 Stück“.

Im Zeitalter des Neomachismo dürfen Männer sich wieder schlecht benehmen. Deshalb das viele nackte weibliche Fleisch auf den Titelseiten von GQ und Men’s Health, deshalb die weltweite Millionenauflage von Prollmagazinen wie FHM. Davon sollte auch der Hustler profitieren. Ganz wie in den Zeiten, als der legendäre Larry Flint das Pornoblatt gründete. „Ich bin das größte Schwein der Welt“, umriss Flint damals seine Strategie. Und: „Ich breche Tabus.“ Dafür ging er in den Siebzigerjahren ins Gefängnis, dafür wurde er berühmt. Larry Flint, ein Porno- Popstar, dessen Leben für einen Hollywood-Film reichte.

Doch weil das Leben kein Film ist, kam es doch anders. Denn der Firma E-tainment, der die Marke Hustler seit drei Jahren in Deutschland gehört, waren die großen Pläne, die in Hallbergmoos geschmiedet wurden, nicht ganz geheuer. Der Vorstand überschlug kurz die Kosten für Marketing, Personal und Druck und entließ dann den Geschäftsführer, der an Jugend, Erneuerung, Sex-Reportagen und Susanne Dinklage glaubte. Stattdessen kam Robert Keen nach München. Einer, der nicht nach Porno aussieht, sondern nach Bankkaufmann, im gestreiften Hemd und dunklen Anzug. Keen ist Geschäftsmann. Und er ließ die Produktion des Magazins bis auf weiteres (das entscheidet sich im September) einstellen. Susanne Dinklage musste ihre Träume von einem „neuen frechen Männermagazin“ erst einmal begraben. Sie soll jetzt das Online-Angebot wieder auf Kurs bringen, und dann, irgendwann, vielleicht auch wieder ein Heft machen. Nur über das Budget wird noch zu reden sein.

Robert Keen ist ein Mensch, der an die Macht der Zahlen glaubt – und an das Internet. Er sagt: „Erotik finanziert seit Jahren das Internet.“ Er sagt auch: „Die großen Geschäfte werden im FSK-18- Bereich gemacht.“ Dort hat die Kostenlos-Mentalität des Internets, die jetzt gerade so grandios scheitert, eh’ noch nie gezählt. Über das Internet, diskret und anonym wie es ist, kann man Erotik eben am besten verkaufen, sagt Keen, und: „Das Internet ist der Zigarettenautomat des Erotikmarkts. Den Männern bleibt die Blamage an der Tankstelle erspart.“

So sieht Porno im dritten Jahrtausend aus: am Bildschirm, ganz diskret mit der Kreditkarte, abends oder im Büro. Auch Susanne Dinklage spricht jetzt von User-Profilen, Klick-Raten und Marktchancen der Marke in der Virtualität. Sie wählt die Erotikbilder für die Internetseite aus, schreibt Katja-Kessler-Geschichten von fleißigen Möbelverkäuferinnen, die sich umsatzfördernd auf den Produkten räkeln, und plant eine Serie über Erotik in der Literatur. Nein, Susanne Dinklage hat kein Problem mit Erotik und der Rolle der Frau im Pornogeschäft. Ist eben so. Sie weiß, wofür ihre Produkte auf den Toiletten der Republik verwendet werden, und es ist ihr egal. „Man kann auf jedem Markt gute Produkte machen“, sagt sie. Hinter ihr an der Wand die Klick-Raten der vergangenen Tage. Es geht aufwärts. Immerhin. Und Susanne Dinklage ist stolz. Ganz Geschäftsfrau.

Sollte die Geschichte von dem Mädchen und dem Pornomagazin doch noch ein böses Ende finden, will Susanne Dinklage übrigens an die Uni zurückgehen: „Dann schreibe ich meine Diplomarbeit darüber.“