Besuch am Grab der Kriegsverbrecher

Japans Premierminister will dem Yasukuni-Schrein eine Visite abstatten. In China und Südkorea sorgt das für Empörung. Denn in dem Schrein liegen auch Militärs, die im Zweiten Weltkrieg in beiden Ländern wüteten

TOKIO taz ■ Ein kleiner Junge wirft ein paar Münzen in die hölzerne Gabenkiste. Sie fallen klimpernd, dann klatscht er mit Vater und Mutter neben sich zweimal in die Hände. Mit gebeugtem Kopf verharrt die junge Familie zu einem stillen Gebet. Darauf flüchten sie in den Vorhof des Schreins, wo riesige Gingko-Bäume Schutz vor der brennenden Sonne bieten. Eine friedliche Stimmung herrscht im Yasukuni-Schrein an diesem Werktag.

„Ich komme jeden August her, um für meinen Großvater zu beten“, sagt Vater Endo. Aber die Anwesenheit von ausländischen Journalisten, die ihn beobachten, verunsichert den Mann. „Ich bin keineswegs einer dieser Patrioten, die den pazifischen Krieg befürworten. Im Gegenteil, mein Großvater, ein armer Industriearbeiter, wurde damals gezwungen, am China-Feldzug mitzumachen.“ Er erzählt, wie seine Großmutter gelitten hatte unter dem faschistischen Regime von Kaiser Hirohito.

Aber die Endos wissen auch dass der Schrein, an dem sie gerade ein Picknick beginnen, einer der umstrittensten Orte Japans ist. Denn dieses Jahr ist der Yasukuni-Schrein wieder zum Mittelpunkt eines diplomatischen Schlagabtausches zwischen Japan, China und Südkorea geworden, nachdem Ministerpräsident Koizumi seit Monaten verkündet, dass er hier am 15. August offiziell einen Besuch abstatten will.

Der Aufschrei der asiatischen Nachbarn ist verständlich. Im Yasukuni-Schrein ruhen nicht nur die Seelen gefallener japanischer Soldaten, sondern hier werden auch 14 japanischen Kriegsführer aus dem Zweiten Weltkrieg geehrt, die als Kriegsverbrecher verurteilt worden waren. Darunter auch General Hideki Tojo, der damalige Ministerpräsident und Oberbefehlshaber, der den Krieg gegen China und später die Alliierten führte. Für die asiatischen Nachbarn sieht deshalb ein offizieller Besuch des Ministerpräsidenten aus, als ob er den Krieg und seine Führer verherrlichen würde.

Das ist verletzend. Mehr als sechs Millionen Asiaten haben ihr Leben gelassen, als die japanische kaiserliche Armee ihren Eroberungsfeldzug von der koreanischen Halbinsel bis nach Indonesien führte. Die Japaner haben die unterjochten Völker nicht nur wirtschaftlich ausgebeutet, sondern auch schwere Kriegsverbrechen begangen, die teilweise bis heute nicht geahndet sind. Mehr als 200.000 asiatische Frauen wurden als Sexsklavinnen von Armeeangehörigen missbraucht, ein Massaker an der Zivilbevölkerung der chinesischen Stadt Nanking wird in Japan immer noch beschönigt, und die biologisch-medizinischen Experimente an Kriegsgefangenen in Nordchina unterschieden sich kaum von den Experimenten der Nazis an Juden in Konzentrationslagern.

Obwohl Außenministerin Tanaka, die gesamte politische Opposition und prominente Vertreter der Regierungspartei Koizumi derzeit raten, den umstrittenen Besuch abzusagen, um so eine diplomatische Krise in Asien zu verhindern, beharrt Koizumi noch auf seinem Vorhaben. Er werde es sich gut überlegen und eine „reife Entscheidung“ treffen, sagte Koizumi diese Woche nur.

Vor Koizumi besuchte nur Yasuhiro Nakasone im Jahre 1985 den Schrein offiziell als Ministerpräsident. Schon damals löste Nakasone eine diplomatische Krise aus, die erst nach drei Jahren und vielen Milliarden zusätzlichen Entwicklungshilfegeldern Japans gelöst werden konnte. Für Koizumi sieht die Situation anders aus. Gerade plant die Regierung den Etat für Entwicklungshilfegelder um zehn Prozent zu kürzen, wobei vor allem China weniger Mittel bekommen soll. Zugleich befinden sich China und Japan in ihrem ersten kleinen Handelskrieg, nachdem japanische Bauern und Textilunternehmer gegen chinesische Billigimporte protestiert hatten und die Regierung in Tokio Schutzzölle beschloss.

Südkorea ist ebenfalls verärgert. Ein Fischereistreit belastet das Verhältnis und mit China zusammen protestiert Südkorea eindringlich gegen die Neuauflage von Geschichtsbücher für Mittelschulen, die die Kriegsvergangenheit beschönigen oder gar nicht erwähnen.

Koizumi gilt jedoch als störrischer Politiker, und da er den Besuch seit seiner Amtsübernahme in Aussicht gestellt hat, wird er wohl nur durch internationalen Druck, der über die asiatischen Nachbarn hinausreicht, davon abzuhalten sein. Umfragen in konservativen Zeitungen des Landes stärken ihn nämlich. Gemäß der führenden Yomiuri-Shimbun sind 40 Prozent der Japaner für den Besuch und nur 34 Prozent dagegen. ANDRÉ KUNZ