Retro-Alternative im Regen

■ Gehört: „Sonnit“ und „Sun“ beim Rockspektakel auf dem Rathausmarkt

„Who's this band?“, fragte ein Passant. „They are fucking great!" Sprachs und blieb stehen in den ers-ten Sonnenstrahlen, die am Freitag pünktlich zur Eröffnung des „Rockspektakels“ den verregneten Rathausmarkt erreichten. Er meinte Sonnit – und sicher hielt der englischsprechende Flaneur die Band in seiner Begeisterung für Landsleute.

International, so könnte man sagen, hängt dem Pop aus deutschen Landen ein eher piefiges Image an: Eintagsfliegen werden produziert, und traurig dümpeln Band-Karrieren vor sich hin bis hin zum Finale „Autohaus-Eröffnung“. Um jede Anerkennung wird gerungen, jeder spätnächtliche MTVIVA-Einsatz gefeiert. Neid bleibt da nur für die in den Himmel gehypten Millionen-Seller von der Insel wie Travis. Dabei könnte ein Programm wie auf dem Rathausmarkt die Hoffnung für deutschen Alternative-Pop nähren. Mit eben jenen beiden Bands: den „fucking great“ Sonnit und den vergleichsweise alten Hasen von Sun. Doch immer der Reihe nach.

Die fünf Sonnit-Jungs um Frontmann Strukoff stammen aus Braunschweig. MTV wählte sie bei einem Newcomer-Contest auf den zweiten Platz, und das Majorlabel Sony griff zu. Entsprechend glücklich pflegt ihr engelsblonder Sänger die Arme auszubreiten wie der Messias des Pop, in jeder Hand ein Mikrofon, eines für den smarten Pop und eines für den ehrlichen Rock.

Doch was ist „fucking great“ an dieser Band, außer der Tatsache, dass sie nichts von der Spießigkeit all dieser Liquidos haben? Vielleicht ist es die Arroganz, mit der sie ihren leichten Retro-Touch ignorieren. Denn einiges an Vergleichen schießt einem durch den Kopf, nicht zuletzt auch an den großen Pop der Endachtziger, der stets ein bisschen peinlich sein durfte: a-ha also? Oder Prefab Sprout? Passt aber irgendwie auch nicht. Es bleibt eine Pop-Band, der es hervorragend gelingt, international zu klingen. Das erste Album steht noch aus. Schade, dass sich Engländer zumeist nicht für deutsche Musik interessieren.

Weitere Retro-Momente im Regen gab es bei Sun. Wieder: An wen könnten ihre Songs denn erinnern? Als deutsche Bush-Variante werden die Routiniers aus Gladbach manchmal bezeichnet. Doch das greift zu kurz – zu sicher ihr Songwriting, sparsam vorgetragen, zu professionell wohl auch das Auftreten ihres Sängers, der vor vielleicht hundert regennassen Tapferen noch singt, als stünde er im Wembley-Stadium. Und manchmal gelingen ihnen schwebende Momente, an denen vielleicht sogar Jeff Buckley seine verhaltene Freude gefunden hätte.

Also: Vergesst all die abblätternden „Buy British!“-Sticker, jedenfalls solange sich die ehemals gemeinten Insel-Heroen noch im Post-Brit-Pop-Taumel befinden.

Volker Peschel