Der ultimative Speerwerfer

Der Tscheche Jan Zelezny gewinnt bei der Weltmeisterschaft in Edmonton seinen sechsten großen Titel und schleicht sich in seiner stillen Art in den exklusiven Klub der allergrößten Leichtathleten

aus Edmonton FRANK KETTERER

Die Gespräche auf dem Podium der Sieger glichen jenen zwischen alten Mütterchen im Wartezimmer beim Doktor. Aki Parviainen, Speerwerfer aus Finnland, hatte gerade angesetzt, die Geschichte seiner körperlichen Gebrechen zu erzählen, und dass es noch vor etwas mehr als zwei Wochen ziemlich düster ausgesehen habe bezüglich seines Starts bei der WM in Edmonton.

Ihm gegenüber saß Konstandinos Gatsioudis und hörte dem finnischen Kollegen, der mit 91,31 m gerade Zweiter geworden war im Speerwurf, aufmerksam zu; als dieser sein Bulletin zu Ende vorgetragen hatte, wusste auch der Grieche noch eine Episode beizufügen: Das linke Knie war’s bei ihm, das bis zuletzt Probleme bereitet und fast eineinhalb Monate nur eingeschränktes Training zugelassen hatte, unter diesen Voraussetzungen sei er mehr als zufrieden, hier bei der WM überhaupt eine Medaille gewonnen zu haben, Bronze baumelte um seinen Hals, für 89,95 m hatte man es ihm umgehängt.

Natürlich wollten die Frauen und Männer von der Presse auch ein Statement zum Thema von Jan Zelezny, der zwischen den beiden Maladen saß. „Jan, wie ist es bei dir mit Verletzungen?“, fragte also eine Stimme auf Tschechisch, und Jan antwortete mit ruhiger Stimme und bemerkenswerten Worten: „Ich habe auch jedes Jahr mit Verletzungen zu kämpfen, aber ich spreche nicht darüber.“ Warum nicht, Jan? „Weil es sonst die Menschen in meiner Heimat beunruhigen würde und sie denken würden, dass ich keine guten Ergebnisse erzielen kann.“ Das will Jan nicht: Dass die Menschen zu Hause sich seinetwegen sorgen, so wie vor drei Jahren, als er sich an der rechten Schulter hatte operieren lassen müssen und eine ganze Saison lang keine Speere werfen konnte.

Es war dies nur eine kleine Episode nach einem großen Wettkampf, aber manchmal sagen solche Dinge unendlich viel aus über einen Menschen, gerade wenn er Sportler ist, ein Star zudem, der gerade zum dritten Mal Weltmeister geworden ist mit der fantastischen Weite von 92,80 m und genau so oft schon Olympiasieger. Da gibt es wenige, denen das nicht zu Kopf gestiegen ist: all der Erfolg, all der Ruhm, all das viele Geld. Und wenn man sich bei dieser WM in Edmonton so umgeschaut hat, zehn Tage hatte man dazu ja nun Zeit, fällt einem auf Anhieb eigentlich nur einer ein: Jan Zelezny, der Speerwerfer aus Tschechien.

„Über Jan sage ich nicht viel“, sagte noch in der Mixed-Zone Raymond Hecht, mit guten 86,46 m Fünfter geworden und damit bester Deutscher. „Er ist der beste Speerwerfer der Welt, das ist doch offensichtlich“, fügte der Magdeburger dann noch an. Da war es gut, dass Boris Henry, einen Platz hinter Hecht platziert mit 85,52 m, etwas mehr ins Detail ging. „Er ist der ultimative Speerwerfer“, sagte der Völklinger, „es wird wohl keinen mehr geben, der das erreicht, was er erreicht hat.“ Das klingt groß, aber genau so ist es: Jan Zelezny aus Tschechien ist einer der größten Leichtathleten aller Zeiten, auch wenn er der Letzte ist, der das für sich in Anspruch nehmen würde. „Ich bin viel lieber ein guter Vater als ein dreifacher Olympiasieger“, hat der 35-Jährige aus Mlada Boleslav einmal gesagt, und kein Zweifel besteht daran, dass er das genau so auch gemeint hat. In seiner Heimat gilt Zelezny nicht nur als Volksheld, sondern darüberhinaus auch als überaus bescheidener Mensch.

Also müssen andere die Dinge zurecht rücken und den Scheffel über seinem Licht beiseite schieben, damit es leuchten kann in vollem Glanze, Boris Henry zum Beispiel: „Vielleicht ist er deshalb nicht so der große Star, weil er sich gerne im Hintergrund hält“, vermutet der Saarländer. „Letztendlich aber“, fügt er an, „steht er auf einer Stufe mit Carl Lewis“, dem großen Sprinter und Weitspringer aus den Staaten. Nochmals ein großes Wort, nochmals wahr. Und wenn man bedenkt, was für ein Theater andere hier in Edmonton aufgeführt haben, die sie auch nur auf Lewis’ Spuren wähnen, ist man wirklich froh, dass es noch Sportler gibt wie Jan Zelezny.

Das wird, Gott sei Dank, wohl noch einige Zeit so bleiben, bis 2004 in Athen will der Tscheche mindestens noch Speere fliegen lassen, „wenn der Körper mitmacht und die Form stimmt“. Davon allerdings geht der 35-Jährige selbst ganz offenbar aus, was nichts mit Hochmut zu tun hat, sondern mit Selbstbeobachtung: „Je älter ich werde, um so besser begreife ich das Speerwerfen“, sagt Jan Zelezny. Für die Konkurrenten sind das wenig rosige Aussichten.