Die wahren Hüter der Türkei

Mit einer neuen Partei melden sich die türkischen Islamisten auf der politischen Bühne zurück. Deren Chef Recer Tayyip Erdogan, der frühere Istanbuler Bürgermeister, geriert sich als Demokrat

aus Istanbul DILEK ZAPTCIOGLU

Sie sind die 39. politische Partei der Republik und mit ihrer gestrigen Gründung schon die stärkste Oppositionspartei im türkischen Parlament: Die „Partei der Gerechtigkeit und des Aufschwungs“ (Adalet ve Kalkinma Partisi) hat in ihr Kürzel auch ihre Hauptbotschaft gepackt: „Ak Parti“ bedeutet zugleich die „Weiße Partei“ und tritt als politische Personifizierung der langersehnten ehrlichen Politik im Lande auf: Schluss mit Korruption, aus dem Schoß des Volkes für das Volk, mit Herz und Verstand für eine neue, weiße Zukunft. Was diese Abspaltung von den Islamisten mit ihrer neuen Formation bezweckt, wird nicht nur in der Türkei noch lange diskutiert werden. Eines steht fest: Die Ak Parti unter dem charismatischen Recep Tayyip Erdogan, Exbürgermeister von Istanbul, wird Bewegung in die politische Landschaft der Türkei bringen.

Eine weiße Weste haben denn auch alle 73 Gründungsmitglieder, die gestern in Ankara nach der Überreichung ihres Antrages im Innenministerium vorgestellt wurden. Erst sollten die alten islamistischen Kader, die Abgeordneten der verbotenen Tugendpartei, als Gründungsmitglieder auftreten. Kritik von außen bewegte Erdogan, eine Liste mit bisher völlig unpolitischen Namen zusammenzustellen: Theologen, Naturwissenschaftler, erfolgreiche Geschäftsleute vom Arbeitgeberverband, Künstler und Sportler sowie Frauen mit und ohne Kopftuch geben das Bild einer konservativen, muslimisch-demokratischen Partei ab. Mit dieser Identität beansprucht die Ak Parti einen legitimen Platz in der Politik. Sie will von den Militärs und den Laizisten diesmal keine rote Karte gezeigt bekommen.

Das Programm erläuterte Erdogan in einer pathetischen Rede. „Wir werden beschuldigt, engstirnig provinziell zu sein“, sagte er als Antwort auf die Kritik des Istanbuler Bürgertums und der prowestlichen Intelligenz. „Nein, wir sind die eigentliche Türkei. Wir riechen nach Erde, nach Anatolien. Wir werden unser Volk nie verkaufen.“

Im Gegensatz zu seinen früheren Reden, die ihm eine Haftstrafe von vier Monaten eingebracht hatten, bezeichnet der populistische Politiker diesmal die Demokratie als „die beste Staatsform, die je erfunden wurde.“ Eintreten will er nach dem Vorbild des französischen Aufklärungsphilosophen Voltaire „auch für diejenigen, deren Meinung er bekämpfen will“. Die UN-Menschenrechtscharta soll nach der türkischen Verfassung sein Leitbild sein, der Betritt zur EU das Ziel – jedoch dürfen die Beziehungen zur EU „nicht zum Vorteil nur einer Seite“ sein.

Demokratie soll zuerst in der Partei praktiziert werden. Alle Ämter werden per Wahl vergeben, Amt und Mandat sind getrennt. Den größten Applaus erntete „Tayyip“, wie ihn die Istanbuler Medien etwas abfällig nennen, mit den Worten: „Unser Land ist reich genug, um die doppelte Bevölkerungszahl zu ernähren, aber wir stehen wie Bettler vor den Türen internationaler Finanzinstitute. Menschen suchen nach etwas Essbarem im Müll, unsere besten Köpfe wandern aus – Schluss damit!“ Auf die Frage, ob sie sich als Islamisten geändert hätten, sagte er: „Weder ich noch meine Freunde sind Atheisten.“

In den vergangenen Monaten gaben sich in- und ausländische Entscheidungsträger bei „Tayyip“ die Klinke in die Hand, um sich ein Bild von diesem Mann zu machen, der laut Umfragen fast 40 Prozent der Türken hinter sich hat: Hohe Militärs, einflußreiche Industrielle, Botschafter aller westlichen Staaten stellten ihm stets dieselbe Frage: „Willst du noch die Scharia einführen?“ Er antwortete nicht, gilt es doch, auch die alte islamistische Basis zusammenzuhalten. Damit erschreckt er nicht nur die Laizisten, sondern auch die Alewiten, die nichtmuslimischen Minderheiten und die Linken. Und trotz der 15 weiblichen Gründungsmitglieder bleibt „Tayyip“ mit seinem Macho-Gehabe und seiner konservativen Weltsicht das Schreckgespenst aller Türkinnen, die sich vom Patriarchat befreien wollen.