Sieben Tore sollst du hören

Stylistische Synthese: Krzysztof Penderecki gastiert am Sonntag mit seinen „Seven Gates of Jerusalem“ und Schuberts G-Dur-Messe im Michel  ■ Von Dagmar Penzlin

Die filzüberzogenen Fliegenklatschen gehören unbedingt ins Gepäck. Mit ihnen bearbeiten die Schlagzeuger des Penderecki-Festspielorchesters riesige Plastikröhren. Aus Instrumenten von neuseeländischen Ureinwohnern hat Krzysztof Penderecki jene eigenwilligen Tubaphone entwickelt. Am Sonntag kommen sie in der St. Michaelis-Kirche zum Einsatz, wenn Penderecki sein selten zu hörendes Bekenntniswerk Seven Gates of Jerusalem dirigiert. Der bedeutende polnische Komponist gastiert auf Einladung des Schleswig-Holstein Musik Festivals in Hamburg.

Die geistliche Vokalsinfonie ist ein Auftragswerk: Penderecki schrieb sie 1996 anlässlich der Feierlichkeiten zum 3000-jährigen Bestehen der Stadt Jerusalem, wo am 9. Januar 1997 schließlich die Uraufführung über die Bühne ging. 1974 hatte der Komponist erstmals die real existierenden Tore Jerusalems durchschritten, als er inoffiziell und unter Lebensgefahr Israel besucht hatte. Als gläubigen Menschen beeindruckte ihn das ganze Heilige Land zutiefst. So war es für den heute 67-Jährigen eine besonders große Ehre, zum Jerusalem-Jubiläum etwas beizusteuern.

Schnell stand für ihn fest, dass er entweder eine Sinfonie oder ein Oratorium schreiben wollte. He-raus kam letztlich eine Mischform. Bibelfest, wie Penderecki ist, griff er für Seven Gates of Jerusalem auf lateinische Texte aus dem Alten Testament zurück: In den Psalmen wurde er fündig ebenso wie in den Büchern der Propheten Jesaja, Jeremia, Hesekiel und Daniel. Formal bestimmt die Zahl sieben die Grobstruktur der Partitur. Aber auch in Details lässt sie sich wiederfinden. So besteht die Siebte Sinfonie des Polnischen Komponisten aus sieben Sätzen, die die sieben Tore Jerusalems symbolisieren (Das achte, verschlossene goldene Tor von Jerusalem bleibt nach jüdischem Verständnis allein der Ankunft des Messias vorbehalten). Ebenso finden sich immer wieder siebentönige Motive quer durchs Werk verstreut. Und es sind sieben gewaltige Fortissimo-Akkorde, die am Schluss des siebten und letzten Satzes stehen.

Gleich mit einem Paukenschlag begann auch Pendereckis Laufbahn: Beim Wettbewerb junger polnischer Komponisten 1959 zeichnete die Jury alle drei Werke aus, die er anonym eingesandt hatte. Nur ein Jahr später erlebte der Anwaltssohn seinen internationalen Durchbruch bei den Donau-eschinger Musiktagen. Machte er in den 60er und bis Mitte der 70er Jahre vor allem Furore als Schöpfer so genannter Klangflächenmusik, die gerne aggressiv bis an Schmerzgrenzen ging, durchlebte Penderecki ab 1975 eine neoromantische Phase. Seit Beginn der 80er Jahre kombiniert der vielfach preisgekrönte Komponist schließlich die Tonsprache seiner Frühzeit mit Charakteristika spätromantischer Musik. Diesem Konzept stilistischer Synthese folgt auch Seven Gates of Jerusalem.

Hier beschwört Penderecki eine „neue Monumentalität“: mit einer geradezu gigantischen Besetzung, die jene seiner früheren Großkompositionen weit übertrifft. Neben fünf Gesangssolisten und einem Sprecher fordern die Seven Gates of Jerusalem drei Chöre, am Sonntag vom Kaunas Chor bestückt, sowie ein sehr großes Orchester mit allein vier Schlagzeuggruppen. Ein kleineres Ensemble mit zusätzlichen Bläsern postiert sich außerdem auf einer Empore im Michel. Sie wissen also, was auf Sie zukommt.

Zuvor steht aber die G-Dur-Messe Nr. 2 von Franz Schubert auf dem Programm: Einen stärkeren Kontrast zu den Seven Gates of Jerusalem kann man sich kaum vorstellen, hat Schubert die schlichte Messe 1815 doch für den sonntäglichen Gebrauch gerade auch in kleineren Gemeinden geschrieben. Darauf weist etwa die einfache Besetzung hin. Ebenso verzichtete der Komponist hier auf kniffelige polyphone Passagen, und so zählt diese Messe nicht umsonst zu den meistaufgeführten Werken Schuberts. Beim Konzert im Michel hat dieses Stück geistliche Musik mehr den Charakter einer leichten Vorspeise. Die Vokal-sinfonie Pendereckis ist da in ihrer bombastischen Gesamtkonzeption schwerer zu verdauen.

Sonntag, 20 Uhr, Hauptkirche St. Michaelis