Lieber auf Nummer sicher

Zu viele Reformen beunruhigen die Basis. Ein Jahr vor der Wahl setzt die SPD auf den Slogan „Sicherheit im Wandel“

von SEVERIN WEILAND

Immer, wenn Franz Müntefering nach der Sitzung des Parteivorstandes am Montag vor die Presse geht, ist der Slogan in roter Schrift auf der blauen Schauwand hinter ihm zu sehen: „Sicherheit im Wandel“. Und weil bei solchen Pressekonferenzen im Berliner Willy-Brandt-Haus die Kameras von Phoenix und anderen Nachrichtensendern stets mit vor Ort sind, landet die Botschaft zu Wochenbeginn in hunderttausenden von Wohnzimmern. Billiger ist Werbung kaum zu haben.

Für die Schar der Journalisten, die regelmäßig über die Sozialdemokraten berichten, haben der Generalsekretär und sein Bundesgeschäftsführer Matthias Machnig kürzlich noch einen schmalen Band herausgebracht. Darin dürfen Meinungsforscher und Politologen, aber auch SPD-Politiker der neuen Generation über Themen wie „Zukunftsfähiges Wachstum“ räsonieren. Titel des Bandes: „Sicherheit im Wandel“.

Wie ein Markenkonzern hat die SPD-Zentrale seit gut einem Jahr damit begonnen, mit diesem Slogan ein neues Gefühl sozialdemokratischer Politik zu vermitteln. Lange, bevor in diesen Wochen der Kanzler selbst seine „Politik der ruhigen Hand“ verkündete.

Dabei geraten Gerhard Schröder und seine Partei in ein offenkundiges Dilemma: Die Begrifflichkeiten riechen stark nach Helmut Kohl. Gegen solche Vergleiche wehrt sich Schröder vehement. Manchmal sogar, ohne danach gefragt zu werden – wie auf seiner traditionellen Pressekonferenz vor der Sommerpause: Die „Politik der ruhigen Hand“, erklärte er, sei „nicht mit Aussitzen zu vergleichen.“ Man habe Reformen vorangebracht. Und dann zählte Schröder sie alle auf, von der neuen Steuerpolitik über das neue Staatsbürgerschaftsrecht bis hin zum geplanten Zuwanderungsgesetz.

Noch 1998 war die Partei unter zwei Schlagworten – „Innovation und Gerechtigkeit“ und „Politik der neuen Mitte“ – erfolgreich in den Wahlkampf gezogen. Wenig später lancierte Bodo Hombach, damals noch Kanzleramtsminister, ein gemeinsames Modernisierungspapier von Schröder und dem britischem Premier Tony Blair – das den Zorn der Linken entfachte und mit Hombachs Abgang schnell wieder in der Versenkung verschwand.

Zumindest Teile der SPD greifen rhetorische Elemente des traditionellen sozialdemokratischen Sprachduktus wieder auf. Jüngst meinte Müntefering gar, die SPD sei „eine linke Volkspartei mitten in der Gesellschaft“. Auch Rudolf Scharping befleißigte sich des alten Juso-Vokabulars, als er vor zwei Wochen eine Rede bei der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung hielt. Das sozialdemokratische Projekt sei unter anderem an die Reformidee der „Zivilisierung des Kapitalismus“ gebunden.

Noch ist erst in Konturen absehbar, welche Richtung das Grundsatzprogramm nehmen wird, das das veraltete aus dem Jahre 1989 ablösen soll. Einen Schwerpunkt, das machte Scharping als Leiter der Programmkommission bei seiner Zwischenbilanz deutlich, wird das Thema Globalisierung einnehmen. Voraussetzung für zukunftsfähige Gesellschaften, „national, europäisch und weltweit“, sei die „Zähmung des Kapitalismus, der jetzt auf Weltebene eine noch größere Kraft annimmt“.

An konkreten Vorschlägen zur Zähmung mangelt es – noch. Die Wortwahl kommt aber just zu einem Zeitpunkt, da nicht erst durch den G-8-Gipfel in Genua die Skepsis gegenüber der Globalisierung wächst. Scharpings Wortwahl, zu anderen Zeiten wie andere Erklärungen zur Parteiprogrammatik eher pflichtgemäß abgehandelt, fand denn auch eine erstaunlich breite mediale Aufmerksamkeit.

Mit der Wortwahl hat die neue SPD jedoch ihre Probleme. „Sicherheit im Wandel“, meinte jüngst der Hamburger Politologe und Parteienforscher Joachim Raschke bei einem Treffen im Willy-Brandt-Haus, treffe zwar die Stimmung, die „sich in der Gesellschaft durchzieht“. Ja, die „im Grunde genommen anspruchsvolle Botschaft“ stehe „quer zum vorherrschenden neoliberalen Diskurs“. Doch, so warnte Raschke, Sicherheit dürfe es „nicht jenseits von Modernisierung geben, Modernisierung muss politisch abgerungen werden“, müsse in der Renten- oder Genpolitik „durchbuchstabiert werden“.

Raschke war es auch, der bei dieser Gelegenheit noch einmal auf ein sprachliches Missverständnis hinwies, das seit einigen Monaten im Willy-Brandt-Haus Kummer bereitete: „Sicherheit im Wandel“, wandte er sich an Müntefering, könne ja auch bedeuten, die Sicherheit selbst sei im Wandel begriffen.

Die SPD hatte bereits im März bei der Präsentation des Leitantrages für den Parteitag Korrekturen vorgenommen: Man wolle „Sicherheit im Wandel und Sicherheit durch Wandel“, lautet seitdem die Doppelbotschaft. Rudolf Scharping, der Unklarheit offenbar müde, legte sich vor kurzem gleich fest. Unter den Bedingungen der Globalisierung müsse die Politik „Sicherheit durch Wandel“ schaffen, meinte er.

So ist der flotte Slogan am Ende durch Änderungen doch noch ein wenig sperrig geraten. Schon bei der Präsentation des Bandes „Sicherheit im Wandel“ hatte Generalsekretär Franz Müntefering dem Politologen Raschke versprochen, der Buchtitel werde „nicht der Wahlkampfslogan“ sein. Den wird die SPD erst noch präsentieren. Eines ist klar: Er muss Schröder gefallen. Der, so heißt es, war über Sicherheit im Wandel nie so richtig glücklich.