„Es fehlt die Polarisierung“

Ernst Hinrichs, Leiter des Berliner Forschungsinstitutes für die Geschichte Preußens, klagt, dass es selbst im Preußenjahr kaum Geld für Forschung gibt. Sein Institut muss zum Jahresende schließen

Interview PHILIPP GESSLER

taz: Professor Hinrichs, das groß gefeierte Preußenjahr ist nun fast zu drei Vierteln beendet: Was hat es gebracht?

Ernst Hinrichs: Das Überraschende für mich war, wie viel man mit Bildern und Ausstellungen machen kann. Die Ausstellung im Charlottenburger Schloss mit ihrer bemerkenswerten Konzentration auf den eigentlichen Anlass dieses Jahres, die Krönung von 1701, war dafür ein schöner Beleg. Was die Forschung angeht, so wurde in diesem Jahr im Gegensatz zum letzten Preußenjahr 1981 kaum kontrovers diskutiert.

Warum ist der Ertrag so gering?

Es gibt zu viele eingefahrene Preußenbilder, die nicht mehr hinterfragt werden. Sie werden in Gestalt einer vornehmlich „anekdotischen“ Geschichtsbetrachtung gewonnen und immer wieder reproduziert. Das „Problem Preußen“ wurde kaum behandelt.

Wo liegt dieses Problem?

Aus der Sicht der Forschung wird die europäische Dimension in der Geschichte dieses Staates zu wenig beachtet. Man blickt auf Preußen, als sei die Geschichte dieser Staatsbildung im Wesentlichen aus sich selbst heraus verständlich, als Leistung seiner Könige vor allem, aber auch als ein Produkt besonderer Gesinnungen. Die Beziehungsgeschichten Preußens zu anderen europäischen Staaten werden zu wenig betrachtet; denken Sie an Polen, denken Sie vor allem aber an Russland. Preußen war ja lange Zeit nur eine Sekundärmacht im Schlepptau Russlands. Solche Aspekte der Forschung sind in der Öffentlichkeit offenbar schwer zu vermitteln, und dennoch sollte auch darin der Sinn eines solchen Preußenjahres liegen.

Also hat das Preußenjahr die Wahrnehmung dieses Staates kaum gewandelt?

So sehe ich es.

Warum ist es so schwer, neuere Erkenntnisse der Wissenschaft in die Öffentlichkeit zu transportieren?

Das lag in diesem Fall wohl daran, dass es – anders als 1981 – kein ausgeprägtes Erkenntnisinteresse der Öffentlichkeit gab. Da man sich erst sehr spät bewusst wurde, dass man wieder vor einem Preußenjahr steht, wurde man von dem Ereignis in gewisser Weise überrollt. Die Diskussionen über dieses Jahr begannen zu spät, deshalb landete man zu schnell in den eingefahrenen Bahnen. Auf Seiten der Politik wurde zudem der Gedanke der Identitätsstiftung sogleich massiv in den Vordergrund gerückt, und da sind die differenzierten Fragestellungen der Forschung nicht immer gefragt. Auch das in Potsdam heute eröffnete Haus für brandenburgisch-preußische Geschichte dient ja in erster Linie diesem Zweck.

Hat das Preußenjahr zu einem unverkrampfteren Verhältnis der Gesellschaft zu Preußen beigetragen?

Ich denke, dass das schon nach dem Preußenjahr 1981 der Fall war, als parallel in Ost- und Westdeutschland die preußische Geschichte intensiv aufgearbeitet wurde. Die Entkrampfung, die damals einsetzte, hat das jetzige Preußenjahr fortgesetzt. Es hat viel Gelassenheit in der Sicht auf Preußen gegeben – fast zu viel. Es fehlten dieses Jahr die polarisierenden Positionen. Ich hatte fast Sehnsucht danach.

Gab es nun die endgültige Versöhnung des marxistischen (ostdeutschen) mit dem bürgerlichen (westdeutschen) Preußenbild?

Nein, denn die beiden Bilder hatten sich schon vorher aufeinander zu bewegt, und die ideologischen Voraussetzungen für so verschiedene Forschungspositionen waren schon vorher verschwunden.

Um die Forschung steht es im Preußenjahr schlecht.

In ganz Deutschland gibt es keinen Lehrstuhl nur für preußische Geschichte! Preußische Geschichte wird immer nur als Teil der deutschen Geschichte behandelt. Es gibt mit dem Ablauf des Jahres 2001 auch kein Forschungsinstitut zur preußischen Geschichte mehr. Die Forschungsstelle der Historischen Kommission wird vom Berliner Senat seit den frühen 90er-Jahren nicht mehr gefördert, das „Forschungsinstitut für die Geschichte Preußens“, als Nachfolgeinstitution gedacht, stellt mit Ablauf des laufenden Preußenjahres seine Arbeit ein ...

Ausgerechnet im Preußenjahr muss Ihr Forschungsinstitut schließen.

Das Institut ist sowohl durch die Berliner wie die Brandenburger Politik gescheitert. Beide Landesregierungen hatten zunächst die Förderung des Instituts zugesichert, nahmen diese Zusage aber seit 1996 Schritt für Schritt zurück. Dann habe ich versucht, selber Geld zu beschaffen. Mein Angebot, mich um Förderungsmittel für eine Anschubfinanzierung bei der Volkswagenstiftung zu bemühen, wurde von den Landesregierungen, vor allem auch persönlich durch den brandenburgischen Ministerpräsidenten, zunächst unterstützt. Als dann aber tatsächlich eine entsprechende Zusage der Stiftung – eine Anschubfinanzierung von immerhin 1,5 Millionen Mark – vorlag, sprangen beide Regierungen ab. Berlin im vergangenen Jahr, Brandenburg im vergangenen Monat. Für mich ist dieses Abenteuer damit beendet.

Eine bittere Erfahrung.

Eine sehr bittere Erfahrung. Ich möchte nicht über die Gründe spekulieren, die neben der Finanzmisere möglicherweise zu diesem Ergebnis geführt haben.

Waren Sie zu kritisch?

Vielleicht wollten sich weder die Politiker noch hiesige Experten von einem Historiker von außerhalb sagen lassen, wie und was Preußenforschung sein sollte.

Ist dann die Eröffnung des Hauses für brandenburgisch-preußische Geschichte ein erfreuliches Ereignis für Sie?

Ich habe die Planungen immer unterstützt und habe sie in der Kombination mit einem Forschungsinstitut immer für ein sinnvolles Unternehmen gehalten. Auf der einen Seite die Forschung, auf der anderen eine Institution der historisch-politischen Öffentlichkeitsarbeit. Nun ist das Element der Forschung weggebrochen, und das finde ich bedauerlich.

Kommen Sie zur Eröffnung?

Nach mehreren Jahren ehrenamtlicher Arbeit mit unendlich viel Mühe unter anderem bei der Einwerbung von Mitteln für die Forschung ist zwar mein Interesse an Preußen nicht erlahmt, wohl aber das Interesse an öffentlichen Feiern, auf denen preußischer Geist und Tugenden beschworen werden.

Trotzdem: Was kann uns das Haus, was kann uns Preußen noch lehren?

Dass die Geschichte nach vorne offen ist. Das hat die Wiedervereinigung gezeigt, an die kaum noch jemand geglaubt hatte. Und das gilt auch für Preußen: Nach der Auflösung Preußens 1947 dachte man, man könne mit dieser Geschichte abschließen, sie gleichsam per Dekret beenden wie den preußischen Staat selbst. Heute wissen wir, dass es doch eine preußische Erbschaft gibt: Wir können selbst an Preußen etwas lernen.

Welche Erbschaft?

Es gibt negative und positive Anknüpfungspunkte. Man darf, um nur zwei Beispiele zu nennen, den preußischen Militarismus und Bürokratismus und ihre Folgen nicht vergessen, man darf aber auch an die Bedeutung der Berliner Aufklärung im Vergleich zu ihren europäischen Pendants erinnern. Das beides jetzt – kritisch und unverkrampft zugleich – geschehen kann, ist sicher ein hoch zu veranschlagender Ertrag solcher Preußenjahre.

Und die in diesem Jahr stets betonte preußische Toleranz?

Toleranz gab es nicht nur in Preußen. Die Hugenotten wurden auch in Hessen, in den Niederlanden, in der Schweiz und in Großbritannien aufgenommen. Die Toleranzgeschichte Preußens ist Teil der Toleranzgeschichte Europas.

Bestand die Gefahr, dass das Preußenjahr deutsch-nationale Kräfte stärkt?

Die Gefahr besteht immer, doch sehe ich nicht, dass in dieser Hinsicht in diesem Jahr viel Bedenkliches passiert ist.