Reden ist Silber, Senden ist Gold

„Kiddy Contest“, „Philosophisches Quartett“, frische Farbe, Klassiker in neuem Gewande – und Nesthäkchen Reich-Ranicki (81) bekommt eine eigene Sendung: Das ZDF stellte in Mainz seine Programmschwerpunkte für das kommende Jahr vor

aus Mainz VIKTORIA URMERSBACH

Wenn er seine Großeltern besuche, so Stefan Raab kürzlich in „TV total“, dann schaue er immer mal ins Zweite. Das soll anders werden, das ZDF will sein geriatrisches Images loswerden und „technologischer Vorreiter“ sein: Auf der IFA beginnt die digitale terrestrische Verbreitung des Programms, speziell für die jungen, mobilen Besitzer portabler Fernsehgeräte. Nun bieten andere Sender dieses terrestrische Bouquet schon seit Jahren an. Die Geräte dazu gibt es erst als Prototyp, und das „substanzielle Programmangebot“, so der Intendant Dieter Stolte, steht bisher unter Ausschluss der Zuschauer im digitalen Raum. Was nicht ist, kann noch werden.

Die letzten Amtshandlungen des scheidenden Intendanten Stolte könnten die schönsten sein – kritisiert würde dann ja der Nachfolger für die letzten eigenen Verbrechen am Zuschauer. Aber Dieter Stolte vom Zweiten ist keiner, der jetzt noch mal etwas wagen wollte. Keine Alterstorheiten, und riskante Strategien waren ohnehin nie sein Markenzeichen. Nein, er will es wirklich allen recht machen. Oder wenigstens fast allen, und Stefan Raabs Großeltern gehören auf jeden Fall dazu.

Immerhin, ein neuer Anstrich für das Alte. Zum frischen Orange gesellt sich die Oberflächenfarbe Silber für das gesamte ZDF-Design. Von der Dekoration über Mobiliar bis zum Kugelschreiber: Alles ganz im Stil der Silberfüchse der ZDF-Nomenklatura selbst gehalten, die am Mittwoch das „stramme“ (Stolte) ZDF-Fernsehjahr präsentierten. Der Optik wegen luden sie noch die Schauspielerin Natalie Wörner („Der Laden“) ein, das ZDF zu loben: Ja, hauchte Frau Wörner und versuchte einen Silberblick, beim ZDF stimme die Qualität einfach, und jetzt, wo sie es sich leisten könne, auch einmal nein zu anderen Sendern zu sagen, arbeite sie doch wirklich gern mit dem ZDF zusammen.

Der zweite Star in der Manege der Programm-Pressekonferenz war Dieter Wedel, der mit Krücken und Sonnenbrille reichlich strapaziert von den letzten Drehtagen der „Affäre Semmeling“ berichtete. Und gerne auch noch einen Satz dazu, warum er so gerne mit dem ZDF zusammenarbeite: Die Menschen, ja die Menschen beim ZDF, die seien einfach einmalig. Einmal habe er sogar einen dieser ZDF-Menschen stundenlang am Telefon für etwas beschimpfen dürfen, wofür der nichts konnte. Hat dem gar nichts gemacht.

Was erfolgreich ist, das erkennt das ZDF an der „hohen Akzeptanz“ (bei der Konkurrenz heißt das einfach „Quote“): „Traumschiff“ seit 20 Jahren, die „Lustigen Musikanten“ seit 30 Jahren. Aus Gründen der Akzeptanz wird Johannes B. Kerner bald viermal wöchentlich Gäste einladen. Auch Unbekannte dürfen dann dort ihre Geschichte erzählen: „Wir sind mehr als 80 Millionen Menschen, da muss doch noch vieles Spannendes möglich sein“, so der Intendant.

Jetzt kann das Neue kommen, hoppla, es ist ja schon da: Die Welt ist kompliziert geworden, und das schreit nach einer neuen Sendung. Das ZDF will die „Grundsatz- und Perspektivfragen der gesellschaftlichen Entwicklung und der sie tragenden Wertorientierungen“ thematisieren. Formulierungen wie aus einem RAF-Bekennerbrief deuten darauf hin, dass die Lage nur mithilfe ausgewiesener Fachleute gemeistert werden kann: Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk wenden sich für die ZDF-Zuschauer dem Sinn des Lebens zu.

Ab Anfang des kommenden Jahres werden sie mit Gästen aus Kunst und Wissenschaft in der gläsernen Volkswagen-Fabrik in Dresden über alle Fragen sprechen, die nur „mit dem Rüstzeug der Philosophie“ zu beantworten sind, so der Pressetext. „Im Idealfall könnte es gelingen, die Zuschauer an ihren eigenen latenten Wissensreichtum zu erinnern und sie zur Wiederentdeckung ihrer Libido des Denkens anzuregen. Gegenstand der Diskussionsrunde ist am Ende immer das Denken selbst“, hofft der Philosoph Sloterdijk. Thema der Premiere: „Die Einführung des Euro – eine Sendung über Währungen und das, was währt“.

Und über Silbergeld zu sprechen, passt ja auch außerordentlich zum neuen Design. Deshalb auch die „Euro-Woche“ zur Bargeldeinführung ab 29. Oktober. Die Charity-Show „Münzen für mehr Menschlichkeit“ widmet sich dem drängendsten Problem von Millionen Urlaubsheimkehrern: Wohin mit Fremdwährungen? Das hilfreiche ZDF hält einen Klingelbeutel bereit. Abwechslung vom silbrigen Einerlei versprechen Sendungen wie „Das Goldene Lenkrad“ (über „der Deutschen liebstes Spielzeug“), „Goldfieber“ (Doku über Goldgräber) und „Goldrausch“ (Olympia-Medaillenwahn).

Das letzte „Literarische Quartett“ geht am 14. Dezember über den Äther. Nach 13 Jahren ist Zeit für Neues, findet der 81-jährige Marcel Reich-Ranicki und lässt sich per Pilotfilm auf seine Tauglichkeit als Kritiker nicht nur der gedruckten Welt, sondern der Kultur im Allgemeinen testen.

Und dann ist da trotzdem eine kleine Revolution passiert, nein, ein „Paradigmenwechsel“, wie Programmchef Markus Schächter stolz kundtut: Der Sonntagabend, einst fest in der Hand der Volksmusik, ist jetzt Sendeplatz für „Melo“. Das steht für Melodram, denn auch so kann das Leben daherkommen, wie man in Mainz weiß. Außerdem als Silberstreifen am Horizont die Ereignisse, die das Fernsehjahr ohne Zutun der Programm-Macher dramaturgisch aufmotzen, z. B. die nächste Schicksalswahl in „Deutschlands politischer Visitenkarte“, in Berlin. Das ZDF ist natürlich dabei, ebenso wie bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City im Februar 2002 und bei der Fußball-Weltmeisterschaft im Juni.

Und für die Kleinen hat sich Onkel Dieter noch etwas Tolles Neues ausgedacht: Karaoke! Das heißt jetzt „Kiddy Contest“ und kommt aus Österreich. Im November strahlen ZDF und ORF gemeinsam den „Ersten deutschen Kinder-Grand-Prix“ aus. „Gefragt sind musikalisches Talent und individuelle Ausstrahlung“, so der Pressetext. Genauso fing es bei der „Mini Playback Show“ an, und am Ende saßen nur noch Zuschauer vor dem Bildschirm, denen Nabokovs Lolita schon zu reif gewesen wäre. Ganz goldig!