Isolation ist keine Lösung

Wer eine der kämpfenden Konfliktparteien in Afghanistan unterstützt oder angreift, taugt nicht als Vermittler. Die EU sollte auf die zivilen Kräfte als Friedensmacht setzen

Die Sanktionengegen das Land sindeine kurzfristigeund kurzsichtigepolitische Strategie

Dürre, Kälte, Hunger – und seit über 20 Jahren Krieg, in dem die Warlords die Menschenrechte verletzen, am Schmuggel und am weltweiten Terrorismus verdienen: Alltag in Afghanistan. Wie kann es sein, dass niemand Einfluss auf die Taliban, die faktischen Machthaber in Afghanistan, hat, weder der UN-Generalsekretär noch Islamgelehrte aus anderen Ländern? Und: Wo könnte ein Ansatz für eine Konfliktlösung liegen?

Zunächst: Politisches Versagen seitens der internationalen Gemeinschaft hat in Afghanistan Tradition. In den 80er-Jahren tobte dort ein Stellvertreterkrieg zwischen den sowjetischen und afghanischen Truppen auf der einen Seite und dem mit westlichen Waffen, Logistik und Geld ausgerüsteten afghanischen Widerstand auf der anderen. Nach dem Abzug der Sowjets 1989 blieb ein bis an die Zähne bewaffnetes Land mit rivalisierenden Mudschaheddin („heiligen Kriegern“) und ehemaligen kommunistischen Milizen zurück. Um stabile politische Strukturen hat sich kein Kalter Krieger gekümmert. Im Gegenteil, Afghanistan blieb sich selbst überlassen. Die Schulen, in denen die Taliban heranwuchsen, wurden noch mit westlichem Geld gebaut.

Auch diesmal hat sich die internationale Politik in Afghanistan selbst blockiert: Auf Druck der USA und Russlands hat der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen das Land verhängt, um so die Auslieferung des weltweit bekannten „Schurken“ Ussama Bin Laden zu erzwingen. Der Multimillionär aus Saudi-Arabien soll für die Terroranschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania sowie weitere amerikanische Einrichtungen verantwortlich sein.

Doch diese Sanktionen verhindern jeden Dialog: Zum einen treiben sie die Taliban weiter in die Isolation und stiften sie dadurch nur noch mehr zu unkontrollierbaren Taten an. Zweitens führen die Beschlüsse wegen ihrer Ausrichtung gegen nur eine Bürgerkriegsfraktion (und die Fixierung auf Bin Laden) dazu, dass automatisch die andere Kriegspartei wieder gestärkt wird. Diese, die Nordallianz, ein Zweckbündnis von weltanschaulich zerstrittenen Gruppen, war militärisch schon fast von der Bühne verschwunden. Somit bekommt der Krieg neuen Aufschwung. Zudem treffen die Sanktionen vor allem die Not leidende Zivilbevölkerung und wurden daher von UN-Generalsekretär Kofi Annan scharf kritisiert – wie auch von den wenigen in Afghanistan noch tätigen UN-Organisationen und von den internationalen Nichtregierungsorganisationen. Da die Taliban als Trotzreaktion nicht mehr für die Sicherheit der internationalen Organisationen garantieren wollten, sind viele der Helfer abgezogen worden. Mit der Verhaftung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Shelter Now haben sie nun Ernst gemacht und sich erneut erfolgreich ins internationale Rampenlicht gesetzt – tagelang haben sie die internationalen Diplomaten vorgeführt, die eigentlich in Ermangelung zwischenstaatlicher Beziehungen nichts in Kabul verloren haben. Über die wahrscheinliche Missionarstätigkeit der christlichen Hilfsorganisation und die Lebensgefahr für ihre einheimischen Mitarbeiter kann man allerdings nur entsetzt sein.

Die Sanktionen führen also in die Sackgasse und verstärken den Krieg und die Streitereien mit der internationalen Gemeinschaft. Sie tragen offensichtlich nicht zu einer friedlichen Konfliktlösung bei. Was aber wäre ein Ansatzpunkt? Den Verhandlungen mit Kriegsgegnern auf der einen Seite sollte auf der anderen Seite der Aufbau einer alternativen Kraft für den Frieden entgegengesetzt werden. Mittelfristig kann das Land nur zur Ruhe kommen, wenn es über funktionierende politische Strukturen verfügt. Diesen wiederum könnten dann die militärische Kräfte unterstellt werden. Die Bürgerkriegsfraktionen hätten ihren Krieg längst eingestellt, würden die Anrainerstaaten nicht bis heute ihre individuellen Interessen in Afghanistan verfolgen. Vor allem Russland, Iran, Indien und Tadschikistan unterstützen die Nordallianz, Pakistan und Saudi-Arabien hingegen die Taliban. Dreh- und Angelpunkt sind Pakistan, Iran und Russland, die sich den Zugang nach Zentralasien zu den dortigen Ressourcen sichern wollen und allesamt einen schwachen Nachbarn wünschen. Letztendlich hat sich der Ost-West-Konflikt in einen regionalen Konflikt verwandelt, dessen Kontinuität darin besteht, dass sein Austragungsort Afghanistan ist.

Diese Konstellation bietet einen offensichtlichen Hebel zur Konfliktlösung. So führt die United Nations’ Special Mission for Afghanistan (UNSMA) seit einigen Jahren Sechs-plus-zwei-Verhandlungen durch; die sechs Anrainerstaaten beraten also gemeinsam mit den USA und Russland. Dieser Ansatz könnte zum Erfolg führen, würde allerdings ein Machtwort oder wenigstens positive Signale der USA in Richtung auf die Unterstützung ziviler Kräfte erfordern.

Es ist kontraproduktiv für jede Konfliktmediation, mit einer Bürgerkriegsfraktion gegen eine andere zu taktieren. So hat es aber auch die EU im Frühjahr mit Ahmad Massud getan, dem offiziellen und gut Französisch sprechenden Vizepräsidenten der Nordallianz. Vielmehr sollten sich die Europäer auf den Aufbau einer alternativen Kraft für den Frieden konzentrieren. So ließen sich die demokratischen Gruppierungen dort unterstützen, die – zersplittert zwar, aber getragen von gut ausgebildeten Kräften – im Untergrund agieren und über Dependancen im Exil verfügen.

Doch ist es leider sehr wahrscheinlich, dass solche Ansätze nicht konsequent verfolgt werden – zu sehr hat sich der Westen darauf festgelegt, die radikalen afghanischen Islamisten als Schurken zu betrachten. Und zynischerweise hat die Zerstörung der Buddhas von Bamiyan sowie die Festsetzung der Shelter-Now-Mitarbeiter noch zur Schärfung der Feindkonturen beigetragen. Sicherlich können die Taliban, mit Ussama Bin Laden als weltbekanntem Gast, mit starken westlich-säkularen Emotionen rechnen – verkörpern sie doch das Feindbild vom wilden unberechenbaren Nichtchristen, der die gesamte so genannte zivilisierte Welt bedroht und den Prototyp des „Anderen“ in Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“ darstellt.

Erfolgreich habendie Taliban jetzttagelang die westlichen Diplomatenvorgeführt

Ist es aber nicht trotzdem kurzsichtig, diese Schurken zu isolieren, so dass keine Dialog- und Verhandlungsmöglichkeiten mehr bestehen? Alle Ansätze zur Konfliktvermittlung könnten zum Erfolg führen, wenn die Global Players Interesse daran hätten. Dies ist aber nicht der Fall: Die Sanktionen sind ein gutes Beispiel, wie kurzfristig und kurzsichtig politische Strategien angewandt werden. Eine Lösung des Afghanistan-Konflikts liegt immer noch in weiter Ferne. Nichtsdestotrotz sollte sich die EU emanzipieren und eigenständige und konstruktive Wege in Afghanistan suchen.

ALMUT WIELAND-KARIMI