Prekäres Leben auf dem Asphalt

Gruppen von afrikanischen und marokkanischen Immigranten ziehen durch spanische Städte. Sie haben keine Arbeit, kein Dach über dem Kopf und keine Papiere. Im neuen Einwanderungsgesetz sind sie nicht vorgesehen

MADRID taz ■ John zuckt mit den Achseln. „Ich lebe schon seit einem Jahr auf der Straße“, sagt er auf die Frage, wie er sich denn fühlt. Es gehe ihm weder schlecht noch gut, nur die Polizei, vor der habe er Angst. John ist einer aus einer Gruppe von 180 Afrikanern aus Staaten südlich der Sahara, die in diesen Tagen durch Barcelonas Innenstadt pilgert, Unterkünfte fordert und die Abschiebung fürchtet.

In der Nacht vom Montag auf Dienstag flüchtet die Gruppe von der Plaza Ramon Berenguer ins Stadtviertel Born. Dort sind die Straßen eng, die Polizeifahrzeuge haben Probleme, den Flüchtlingen zu folgen. Erst um acht Uhr morgens kommt die Gruppe schließlich auf der Plaza Malraux an. Dort warten sie nun auf den nächsten Räumungsbescheid.

Wie John leben die meisten der 180 Afrikaner der Gruppe schon seit langem auf den Straßen der katalanischen Hauptstadt. Aufgefallen sind sie den Behörden und Medien erst, als sie begannen, auf der zentralen Plaza de Catalunya zu campieren. Hier, am Ende der schönsten Rambla, in der Nähe des Operntempels Liceo und der von Urlaubern so gerne besuchten Altstadt, konnten sie schließlich nicht mehr übersehen werden.

Über die Gewerkschaft CGT begannen sie, sich als Gruppe zu organisieren. Jetzt stellen sie Forderungen. Ein Bett, ein Dach über dem Kopf, eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung.

Das Gleiche fordert auch eine Gruppe von 96 Marokkanern, die zu Fuß unter der brütenden Sonne durch die La Mancha bis in die Provinzhauptstadt Cuenca gepilgert sind. Dort schlafen sie jetzt auf der Plaza de España, eine Art Protestaktion, um ihre Legalisierung einzufordern. Wie die Einwanderer in Barcelona leben sie eigenen Angaben zufolge seit mindestens einem Jahr in Spanien und haben bisher als Erntehelfer gearbeitet. Einen viertägigen Hungerstreik brachen sie ab, nachdem die sie versorgenden Ärzte erklärten, ihr Gesundheitszustand sei schon schlimm genug. Trotzdem sagt einer von ihnen: „Außer unserem Leben haben wir nichts mehr zu verlieren.“

Die Regierung antwortet mit einer Drohung: Innerhalb von zehn Tagen sollen sie einen Arbeitsvertrag vorweisen, sonst wird abgeschoben. Die Gruppen in Barcelona und Cuenca verweisen auf ein Problem, das Spanien mit dem endgültigen Inkrafttreten seines neuen Ausländergesetzes zu Beginn dieses Monats hat. Bis zum 31. Juli konnten die Ausländer noch auf Gnade aus dem Innenministerium hoffen. Wer nachweisen konnte, vor dem 23. Januar dieses Jahres in Spanien gelebt zu haben, durfte mit einer Aufenthaltsgenehmigung rechnen. Zum Stichtag hatten über eine halbe Millionen Ausländer die begehrten Papiere beantragt. Behörden und Hilfsorganisationen zeigten sich überrascht, war man bisher doch nur von insgesamt einer Millionen in Spanien lebenden Ausländern ausgegangen.

Nachdem die Regierung meint, die größtmögliche Zahl von in Spanien lebenden Einwanderern mit Papieren ausgestattet zu haben, will sie mit dem neuen Gesetz innerhalb Spaniens nur noch in Ausnahmen Aufenthaltsgenehmigungen ausstellen. Spanien will die Einwanderung künftig über Kontingente regeln. Entsprechende Abkommen wurden bereits mit Marokko, Ecuador und Kolumbien abgeschlossen. Weitere Vereinbarungen mit drei osteuropäischen Staaten sind geplant. Der ungenehmigte Aufenthalt von Ausländern ist in dem neuen Regelwerk nicht vorgesehen.

Diese Vorstellungen halten die Gewerkschaften jedoch für realitätsfern. Auf Grund der Nähe zum afrikanischen Kontinent und der starken Schattenwirtschaft Spaniens müsse das Land damit rechnen, immer auch mit Einwanderern ohne Papiere zu leben, sagt Llorenc Serrano von den „Arbeiterkommissionen“. Die Forderung „Papiere für alle“ sei genauso irreal wie die Option „Aufenthaltsgenehmigung oder Abschiebung“.

Auch den Afrikanern in Barcelonas Innenstadt droht die Abschiebung. In seltener Einheit vereinbarten die sozialistische Stadtverwaltung, die nationalistische Regionalverwaltung Kataloniens und die konservative spanische Zentralregierung in Madrid, dass 80 Prozent der Afrikaner aus der Gruppe Spanien verlassen müssten, weil sie die Anforderungen zum Aufenthalt nicht erfüllten.

HANS-GÜNTHER KELLNER