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Die Welt als Modell

Alptraum in H0, Schienen führen in die unmittelbare Gegenwart: Die Modelleisenbahn in der Speicherstadt  ■ Von Roger Behrens

Modellbahner teilen die Welt mittlerweile in fünf Epochen, historische Abschnitte der letzten einhundertfünfzig Jahre, die durch bestimmte, kennzeichnende Erfindungen in der Eisenbahntechnik unterschieden werden. Die Epochen sind real, dem Vorbild entlehnt, und dienen dem Modell als Vorgabe, möglichst getreu die Wirklichkeit im entsprechenden Maßstab nachzubauen. Durchgesetzt haben sich die Maßstäbe, die durch die Spurweiten, den Abstand der Schienen, im Modell bezeichnet werden, 1:160 (N = Normalspur) und 1:87 (HO = Halbnull); im Museum für Hamburgische Geschichte ist eine Anlage der Spur I zu bestaunen. Manche lassen eine Großbahn der Spur II im Garten fahren, und wer nur einen Koffer zur Verfügung hat, in dem wenigstens ein Zug im Oval fahren soll, bastelt sich die Welt in der Spur Z (1:200) zurecht. In der DDR wurde die auch in Großbritannien und Japan verbreitete Spur TT (Table Top, 1:120) bevorzugt, allerdings dann nach der Wende mit abgewickelt.

Auch die Modellbahntechnik wächst mit ihrer Zeit mit, ahmt sie nicht nur nach. Blechschienen und Aufziehmotoren des 19. Jahrhunderts wurden von natürlichem Schotterbett und präzisen Elektromotoren abgelöst. Längst ist auch hier das digitale Zeitalter angebrochen, wird der Rangierverkehr per Computer erledigt.

In der Speicherstadt wurde jetzt die größte digitale Modellbahnanlage eröffnet; im Maßstab HO sind hier auf 1600 qm 500 Züge mit 7000 Waggons, der Fachmann spricht von Garnituren, im Einsatz. Ein Faltblatt verspricht „das Erlebnis für Ihre ganze Familie“, zum Beispiel in Form von vielen „Schaltern für große und kleine Kinder, mit denen Szenarien auf der Anlage ausgelöst werden“ können. Der Clou: „Seit dem 16. August sind 60 Prozent unserer Traumwelt fertig und eröffnet“, eine Traumwelt, die durch deutsche Berglandschaften, vom Harz bis zu den Alpen, führt.

Vermögen Modelleisenbahner zwar den Raum zu verkleinern, so wirft die maßstabsgerechte Verkleinerung der Zeit Fragen und Probleme auf. Hier, im „Miniatur Wunderland Hamburg“ wird dies von einem Computer gelöst, der „einen Tag in 15 Minuten simuliert“; alle Viertelstunde verbreitet gedämpftes Licht Nachtatmosphäre und 20.000 Lämpchen beleuchten das regungslose Leben von Figuren, die für alle Ewigkeit auf dem Bahnsteig oder im Badesee festgeklebt sind.

Während die Anlage im Museum für Hamburgische Geschichte versucht, den Harburger Bahnhof wiederzugeben, setzt die „Traumwelt im Maßstab 1:87“ auf Superlative, zu denen auch die Idealbilder deutscher Landschaft gehören. Diese Traumwelt ist eine heile; die blinkenden Feuerwehrfahrzeuge löschen keinen Brand, und alle Spuren der Geschichte führen in die unmittelbare Gegenwart. In dieser Welt hat es den Faschismus nie gegeben, obgleich die Eisenbahnen aus jener Zeit am beliebtesten sind. Die Welt als Modell und Matrize, könnte mit Günter Anders gesagt werden. Und das versprochene Erlebnis ist eben die Inszenierung einer Welt ohne Erfahrung. Ein Alptraum im Maßstab 1:87; und das flackernde Neonlicht, das die Morgendämmerung sein soll, wirkt wie der aufblitzende Riss in der Matrix dieser virtuellen Irrealität.

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