Glücksversprechen

■ Swingin' Kulturkritik: Allerlei Tanzveranstaltungen am Sonnabend

„Reclaim the Street“ hieß es auch in diesem Jahr mancherorts gegen die Selbstherrlichkeit, mit der die Loveparade wieder für sich die Stadt und die Straße beanspruchte (sei es in Berlin oder seien es die Surrogate in Hamburg und anderswo). Dass diese Jahreshauptversammlung der Kulturindustrie zu Unrecht die Liebe und in deren Namen dann auch Politik und Spaß für sich vereinnahmen möchte, hat die DJs Ralf 10/100 und Stanley Ipkiss veranlasst, gegen den Aufmarsch des deutschen Techno-Mainstreams noch einmal den Club als Ort einer tanzbaren (Gegen-) Kultur stark zu machen: „Love is in the Air“ heißt es seit vier Wochen jeden Sonnabend in der Tanzhalle, mitunter dann auch mit renommierten Gästen. Getanzt wird zu kräftigen, discodurchsetzten House-Varianten; dazu und dafür gibt es viel Platz, aber – gerade bei derzeitigen Temperaturen – nicht immer viel Sauerstoff. Allein von der Liebe in der Luft kann man eben nicht überleben, aber sie ist doch ein schönes Glücksversprechen, das die vielen Geschlechter durch die Nacht trägt: Reclaim the Love.

Wer es minimaler haben möchte, zieht ins Phonodrome. Hier führen DJ Pussa und Daniel Wetzel über die Tanzfläche und lassen uns mit reduzierten Elektrobeats alle sexy aussehen. Ist es auch gänzlich übertrieben, allein in der Schönheit tanzender Körper schon Formen politischer (Unter-) Haltung zu sehen, liegen Pop und Politik hier aber tatsächlich dicht beieinander: Der Mojo Club, gleich um die Ecke, ist von der Schließung bedroht und da hat es auch etwas von Solidarität, sich hier zum Dancefloorjazz der Original Jazz Rockers zu bewegen. Dort beginnt sich ein Protest zu formieren, der anderenorts schon Geschichte und nutzbare Erfahrungen gezeitigt hat, nämlich in der Roten Flora.

„Reclaim the Riddims“ heißt es hier für alle, denen „Tanzhalle“ nur eine notdürftige Übersetzung von „Dancehall“ ist und Deep nicht tief genug sein kann. Nach einer längeren Pause melden sich die Sugar Chicken mit ihren Ragga- und Dub-Tunes zurück. Erstgenannte haben sich ja nicht nur als DJ-Spezialisten für solche Musik einen Namen gemacht, sondern stehen auch für eine Club-Culture, die (meistens) ohne die mackerhafte Selbstinszenierung auf der Tanzfläche auskommt. Solch angenehme Atmosphäre ist schließlich auch garantiert, wenn das DJ-Kollektiv Sonido Bestial zum Afro-Latin-Music-Club ins Fundbureau einlädt und Latin-Soul, Boogaloo und Salsa präsentieren. Roger Behrens

alle Veranstaltungen beginnen um 23 Uhr