Lausitzer lernen nun illegal

Das sächsische Kulturministerium verwehrt der sorbischen Minderheit in Crostwitz eine zusätzliche Klasse. Aus Protest machen die Schüler Unterricht auf eigene Faust

Der Fall Crostwitz zeigt das Dilemma der starren sächsischen Schulnetzplanung

DRESDEN taz ■ Im Sorbenland und darüber hinaus regt sich Protest. Seit Schuljahresbeginn am 9. August ignorieren Schüler, Eltern und Lehrer einen Beschluss des sächsischen Kultusministeriums, an der Mittelschule in Crostwitz keine fünfte Klasse mehr einzurichten. Mit 17 Schülern werde die dort schon ausnahmsweise geltende Mindestschülerzahl von 20 pro Klasse unterschritten, hieß es zur Begründung. Nun wird illegal und von freiwilligen Lehrern einfach weiter unterrichtet.

Eigentlich siedelten die Sorben zuerst im heutigen Sachsen, bevor sie zu Beginn des letzten Jahrtausends verdrängt wurden. Heute lebt von den Sorbenstämmen noch ein kleines slawisches Restvolk von etwa 60.000 Mitgliedern in der Lausitz. Die Landesverfassungen würdigen zwar ihre Minderheitenrechte. Bedroht aber ist die lebendige Existenz der Sorben nicht nur durch den Wegzug aus der besonders strukturschwachen Lausitz, sondern auch durch den allgemeinen Geburtenrückgang und daraus folgende Einschnitte bei der Schulnetzplanung.

Unter der Überschrift „Sicherung der sorbischen Identität durch schulische Bildung“ hatte die CDU-Landtagsfraktion im April dieses Jahres einen besorgten Antrag an die Staatsregierung gestellt. Crostwitz ist neben Ralbitz insofern von besonderer Bedeutung, als von den sechs sorbischsprachigen Mittelschulen nur hier das Sorbische auch Unterrichts- und Umgangssprache ist.

Mit einer Massenpetition von 2.000 Unterzeichnern für den Erhalt der Schule war man bereits im Frühjahr an der CDU-Mehrheit im Petitionsausschuss des Landtages gescheitert. Auch das Verwaltungsgericht Dresden sah Ende Juli keinen Grund, vorläufigen Rechtsschutz gegen die Schließung zu gewähren.

Für den gestrigen Freitagabend hatten die Kirchgemeinden des streng katholischen Gebietes einen Sternmarsch angekündigt. Solidaritätserklärungen kommen aus dem brandenburgischen Storkow, das sich in einem ähnlichen Fall erfolgreich wehrte, vom PDS-Europaabgeordneten Hans Modrow, vom Rat der Kärntner Slowenen und vom Landeselternrat in Sachsen. Doch sowohl Kultusministerium als auch CDU-Landtagsfraktion bleiben bislang hart. Ein Kompromissvorschlag der Kamenzer Landrätin Andrea Fischer (CDU), alle etwa 100 sorbischen Mittelschüler pro Jahrgang in einer neu zu bauenden Schule zusammenzufassen, wurde von Sorbenvertretern als „Ghettoisierung“ abgelehnt.

Im Fall Crostwitz wird das Dilemma starrer, fiskalisch bestimmter sächsischer Schulnetzplanung als Antwort auf den Geburtenrückgang augenfällig. Die Landesregierung, die ständig den Mythos vom sächsischen Pioniergeist bemüht, war bislang landesweit zu keinen flexiblen Lösungen bereit, um die Schule möglichst im Dorf zu lassen. Von einer „konservativen Strukturfalle“ sprach SPD-Schulexperte Gunter Hatzsch.

Pikanterweise hatten gerade im Bautzner Raum auch zahlreiche CDU-Funktionsträger für alternative Schulverbünde plädiert. Ein Volksantrag gegen Schulschließungen, der kleinere Klassen und kurze Schulwege vorsieht, hat soeben die erforderlichen 40.000 Unterschriften für einen Gesetzentwurf erreicht. Der Geburtenmangel plagt schließlich auch Schulen anderswo in Sachsen. Die Staatsregierung fürchtet daher den Unwillen nicht sorbischer Eltern, wenn sie der Lausitz weitere Privilegien zugesteht.

MICHAEL BARTSCH