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Klärende Entladungen

Sex und Zärtlichkeit, Oxytocin und Vasopressin: Ein Kolloquium über die Liebe im bayerischen Schloss Elmau

Die größte Irritation nahm nicht vom Podium ihren Ausgang, sondern kam aus der Menge: Eine Zuhörerin outete sich als „Königin“ auf dem Feld des Erotismus und beschied dem Philosophen und Psychoanalytiker Slavoj Žižek „einen gewissen Sexappeal“ in seiner Sprache, zu dem sie sich während des Elmauer Kolloquiums „Über die Liebe“ ein größeres weibliches Gegengewicht gewünscht hätte.

Die eigenwillig stakkatohafte Intonation, das schwer verständliche Lispeln des Slowenen wird sie kaum gemeint haben. Vielleicht aber den fast manisch wirkenden Furor, mit dem er seiner galoppierenden Ideenherde gestisch zu folgen sucht: Seine dauerzuckenden Hände flitzen bald durch die Haare, bald durchs Gesicht – unter der Nase entlang und in den Bart hinein, um dort ihre unstete Reise aufs Neue zu beginnen. Säße man in Žižeks Nähe, man hätte zweifellos Angst, von seinen entfesselten Gliedern getroffen zu werden.

Man hielte Abstand – und würde trotzdem von der vollständigen Identität des Mannes mit seinen rasenden Gedanken angezogen. Dies ist ein zugegeben profanes Bild für das Spannungsverhältnis zwischen Begehren und Distanz, das das Feld der Erotik definiert.

Doch nicht von ungefähr war Žižek der einzige unter den Rednern auf Schloss Elmau, der vor dem Sex nicht zurückzuckte. Auch dem praktischen. Seine zotige Porno-Paraphrase sorgte für ausgelassene Lacher am Ende eines langen, geistreichen Freitags: „Feed that hole, I have another hole to be fed and so on“.

Dann wurde der Schnelldenker und Vielschreiber fast zart, als er die wahre Liebe als eine charakterisierte, in der die Partner sich selbst genügen und Sex irrelevant wird: „But precisely because fundamentally, it doesn’t matter, we can fully enjoy it without any superego pressure.“ Als die Veranstaltung endlich zur Sache kam, ging wie als Kommentar auch draußen in der Natur ein Teil der aufgestauten Hitze als Regen nieder. Eine Entladung am Abend des zweiten Kolloquium-Tages, mit der sich außer der Luft auch vieles an den vergangenen Beiträgen klärte.

Rüdiger Safranskis Eröffnungsvortrag zum Beispiel, in dem der Nietzsche-Biograph unserer Zeit zwar kein Abnehmen der „Lust an der Lust“ unterschob, jedoch ein Abkühlen der Theorien über das „heiße“ Thema: So erklären Endokrinologen längere Liebesbeziehungen mit der Konzentration von Oxytocin und Vasopressin im Blut, und Kulturtheoretiker Luhmannscher Prägung sprechen von einer „störungsresistenten, reziproken Affirmation von Selbstdarstellungen“. Platons Idee von der Philosophie als Fortsetzung des Eros mit anderen Mitteln wird für Safranski nur von der Phänomenologie beispielsweise Max Schelers beerbt, die den Phänomenen, wie sie von „sich her“ sind, „eine Bühne“ bereitet.

Wie man sich von deren Betrachtung hinreißen lassen kann, führte wiederum Žižek vor, der sich gegen Ende seines fast zweistündigen (!) Vortrags dauernd selbst zur Raison rief: „Don’t get lost in this!“ Vergeblich. Das erotische, das liebende Erkennenwollen ist ausschweifend. Und an seinem Gegenpol macht sich bloß die Langeweile breit, die der als Organisator firmierende Christoph Schmidt (Jerusalem) in seinem Vortrag als Blick definierte, „der nicht länger mehr von irgendetwas fasziniert ist“. Das hat nichts mit den Dingen selbst zu tun, etwa mit ihrer Schönheit, die noch für Platon Maßstab alles Liebenswerten war. Žižek argumentiert mit Lacan, man liebe einen anderen gerade wegen seiner Unvollkommenheit, gerade wegen jenes mängelbehafteten „objet petit“, das ein Leberfleck sein kann oder ein „pathologischer“ Tick. Die menschliche Liebe muss immer Unterschiede machen. Umarmt sie wie Don Juan alle Frauen oder wie der Buddhismus die ganze Schöpfung, behandelt sie ihre Objekte, als seien sie bereits tot: Weniger sich selbst gleich als allen/allem anderen. Das Christentum mit seinem Gebot der „agape“, der Nächstenliebe, hat zumindest in der Praxis oft weiter entfernte Nächste ausgegrenzt. Dabei ist die Liebe Gottes, wie es im Korintherbrief heißt, unendlich: Sie „verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles“.

Der an der Sorbonne lehrende Rémi Brague formt diese unmögliche Liebe leichthändig zu einer Aufforderung und Bedrohung um: Seine individuelle Liebesfähigkeit, gesteht er, müsse vor Paulus’ Unbedingtheit kapitulieren. Der alles verzeihende Gott der Liebe hat für diesen Fall die Hölle erschaffen, für die Brague sich gerne bewirbt: „Ich bin der beste Kandidat, ja der einzig mögliche.“ Sagt’s und schmunzelt dabei. Bragues Frau jedenfalls, die ihren Mann nach Bayern und in das schöne Schloss Elmau begleitet hat, schien mit dem künftigen Höllenbewohner nicht unzufrieden.

Vielleicht gelingt es den beiden hin und wieder, ihrer wohl langjährige Ehe in romantischen Momenten wieder auf die Beine zu helfen. Eva Illouz aus Jerusalem, auch sie angereist mit Partner (und Sohn), bekannte gleich zu Beginn, sie habe von der Liebe keine Ahnung. Ihr soziologisches Augenmerk gilt der Inszenierung von Romanzen: In überteuerten Restaurants werden bei Champagner und überschätzten Delikatessen übergepflegte Körper gezeigt. Nicht den Anderen, sondern dem Ehemann oder der Ehefrau, denn er oder sie soll das Altvertraute aufs Neue begehren. Für die Kreation dieser „Inseln“ liefert die „consumer culture“ die Produkte. Und obwohl es manchmal hilft, ist es doch kein Ersatz für das erste Mal. Es fehlt die Irritation – und vielleicht die vollständige Identität der ganzen Menschen mit ihren Gedanken.

SABINE LEUCHT

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